Die Marktkapitalisierung von USDC, einem an den US-Dollar gekoppelten Stablecoin, liegt aktuell bei mehr als 55 Milliarden US-Dollar. Einen nur ansatzweise vergleichbar großen Euro-Stablecoin gibt es bisher jedoch nicht. Nun hat das US-Unternehmen Circle angekündigt, ab dem 30. Juni einen eignen Euro-Stablecoin (EUROC) auf der Ethereum-Blockchain einzuführen. Mit einem solchen Euro-Stablecoin werden zukünftig unkomplizierte Euro-Überweisungen in der ganzen Welt möglich sein, wie es bereits beim US-Dollar der Fall ist. 

Anstelle der Eurozone hat sich Circle dafür entschieden, den geplanten Euro-Stablecoin über die US-Bank Silvergate auszugeben. Doch ist es überhaupt zulässig, dass eine an den Euro gebundene digitale Münze außerhalb der Eurozone ausgestellt wird? Wie werden die europäischen Regulatoren darauf reagieren? Kann Circle die kommende Markets in Crypto-Assets Regulation (MiCA) einfach ignorieren und den Stablecoin von außerhalb der EU betreiben? Und warum gibt es immer noch keinen großen Euro-Stablecoin?

Diese Fragen hat Cointelegaph auf Deutsch Patrick Hansen gestellt. Der ehemalige Bereichsleiter für das Thema Blockchain beim deutschen Digitalverband Bitkom war bis vor kurzem als Head of of Strategy & Business Development beim Krypto-Dienstleister Unstoppable Finance tätig. Jetzt berät Hansen Unternehmen wie Presight Capital oder die Blockchain Founders Group zum Thema Blockchain und hat einen heißen Draht in das EU-Parlament.

Cointelegraph auf Deutsch: Circle lanciert einen Euro-Stablecoin, der allerdings nicht von der EZB oder einer europäischen Bank herausgegeben wird. Was hältst du von der Entscheidung von Circle, einen eigenen Euro Coin auszugeben?

Patrick Hansen: Ich bin ein großer Fan von dieser Entscheidung. Der Euro macht fast 40 Prozent der globalen SWIFT-Zahlungen aus, 20 Prozent der globalen Währungsreserven, aber nur 0,2 Prozent der globalen Stablecoin-Marktkapitalisierung. Es ist im Sinne der EU und der Eurozone, das zu ändern. EUROC ist ein vielversprechender Schritt in diese Richtung.

CT: Die Europäische Zentralbank (EZB) hält sich vorerst die Optionen offen, ob und wann ein digitaler Euro eingeführt werden soll. Auch hinsichtlich des digitalen Euro auf der Blockchain laufen in Europa bisher nur erste Gespräche zwischen Banken, wie multibankenfähiges tokenisiertes Geschäftsbankengeld aussehen könnte. Ist Europa mit der Herausgabe des eigenen Euro-Coins nicht zu langsam bzw. unselbständig?

Patrick Hansen: Es ist mir bis heute nicht wirklich klar, was genau die EZB mit einem zentralbankemittierten digitalen Euro erreichen will. Ob es eine eine Art digitales Bargeld werden oder eher eine neue Zahlungsverkehrsoption darstellen soll. Deswegen ist es auch so schwer, das Projekt zu bewerten. Grundsätzlich glaube ich jedoch, dass private Unternehmen, geleitet und beaufsichtigt von der Politik, besser geeignet sind, um Innovationen in unser heutiges Finanzsystem zu bringen. Ich denke auch, dass die europäischen Banken hier in den nächsten Jahren viel aktiver sein werden. Momentan hält sie meiner Meinung nach insbesondere zweierlei zurück. Erstens wollen die Banken die regulatorischen Vorgaben der MiCA abwarten und zweitens sind die konkreten Pläne der EZB für einen digitalen Euro immer noch nicht klar.

CT: Circles Euro-Stablecoin soll eins zu eins durch auf Bankkonten hinterlegte Euro gedeckt sein. Die Reserven liegen aber bei der US-Bank Silvergate, und Circle selbst ist in den USA ansässig. Wie lässt sich der neue Euro Coin dann mit der kommenden MiCA-Verordnung regulieren? 

Patrick Hansen: Wir müssen die finale Version abwarten, aber meiner Meinung nach greift MiCA hier automatisch, da es sich um einen Euro-Stablecoin handelt. Circle wird nicht darum herumkommen, die entsprechenden Lizenzen in der EU zu beantragen und den EUROC von EU-Behörden beaufsichtigen zu lassen. Das ist, meine ich, aber auch in Circles Absicht und Interesse.

CT: Wenn Circle sich entscheiden sollte, alle von der MiCA geforderten Lizenzen zu beantragen, welche Möglichkeiten gibt es hier für das US-Unternehmen?

Patrick Hansen: Circle wird vermutlich ein europäisches Rechtssubjekt gründen und dann eine E-Geld-Lizenz beantragen, die für die Emission von E-Geld-Token Voraussetzung ist. Je nach Adoption fällt EUROC dann sogar schon in die Kategorie “Bedeutende E-Geld-Token” (“Significant e-money-tokens”), was nochmal höhere Kapitalreserve-, Liquiditäts- und Interoperabilitätsvorgaben mit sich bringt. Circle könnte theoretisch auch das Haftungsdach eines bestehenden E-Geld-Instituts nutzen und mit diesem kooperieren. Das wäre operativ und rechtlich gesehen ein etwas komplexerer Prozess.

CT: Könnte Circle beschließen, die MiCA-Verordnung zu umzugehen und nicht in der EU tätig zu werden? Wenn ja, was würde das für den EUROC bedeuten?

Patrick Hansen: In Bezug auf USDC, Circles primären an den US-Dollar gekoppelten Stablecoin, könnte Circle davon absehen, eine MiCA-Lizenz zu beantragen. Die Vor- und Nachteile, zum Beispiel dass nicht regulierte Stablecoins nicht mehr von regulierten Krypto-Handelsplätzen in der EU gelistet werden dürfen, müssen hier abgewogen werden. Für den EUROC sehe ich jedoch keine Möglichkeit, MiCA zu umgehen.

CT: Könnte MiCA die Innovation in der EU behindern, während sich wichtige Projekte außerhalb der EU entwickeln?

Patrick Hansen: Klar, Regulierung ist immer zweischneidig. Sie kann Rechtssicherheit, Vertrauen und Adoption befördern, aber auf der anderen Seite hohe Markteintrittsbarrieren schaffen. Hier muss die richtige Balance gefunden werden. Im Bereich Stablecoins und auch NFTs geht MiCA meiner Meinung nach einen Schritt zu weit und droht, zu einer großen Hürde für viele Unternehmen zu werden. Ich hoffe darauf, dass sich bei der Spezifizierung der regulatorischen Vorgaben durch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde (EBA) und Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde (ESMA) noch der ein oder andere Punkte abschwächen und verbessern lässt.

CT: Euro-Stablecoins scheinen weniger genutzt zu werden. Warum haben EU-Unternehmen Probleme, bedeutende Stablecoins auf den Markt zu bringen?

Patrick Hansen: Das hat verschiedene Gründe. Negativzinsen für Bankeinlagen in der Eurozone haben die Geschäftsmodelle von Stablecoins, die durch Reserven gedeckt sind, bisher praktisch unmöglich gemacht. Außerdem spielen die regulatorischen Herausforderungen eine Rolle, die Schwäche des Euros, und natürlich der First-Mover-Advantage von US-Dollar-basierten Stablecoins wie USDT und USDC. Die Netzwerkeffekte von Stablecoins sind so bedeutend, dass auch viele Europäer der Einfachheit halber USD-Stablecoins nutzen. Zudem ist die Volatilität von Kryptoanlagen in der Regel hoch und viele EU-Privatinvestoren sind deswegen vergleichsweise unbesorgt über das Euro/Dollar-Wechselkursrisiko, wenn sie ihre Investments in USD-Stablecoins parken.

Grundsätzlich ist die Nachfrage nach einem weit verbreiteten Euro-Stablecoin aber riesig und viele der obigen Punkte werden in den nächsten Monaten besser werden.

CT: Wie wird sich das Circle-Projekt entwickeln? Kann der EUROC ein ähnlicher Verkaufsschlager wie der USDC werden?

Patrick Hansen: Das wird der Markt entscheiden. Die Nachfrage, vor allem auch von größeren Finanzinstituten, nach einem vertrauensvollen und regulatorisch abgesegneten Euro-Stablecoin ist jedenfalls groß. Ich glaube nicht, dass Euro-Stablecoins mit US-Dollar-Stablecoins mithalten werden können. Das schafft der Euro auch außerhalb der Krypto-Welt aus diversen Gründen nicht. Aber diejenigen Euro-Stablecoins, die die Hürden der MiCA nehmen, werden eine starke Adoption und Nutzung sehen. Das wird auch den Marktanteil von Euro-Stablecoins insgesamt erhöhen.

CT: Ein Euro-Stablecoin kann mehr Euro-Liquidität in den Kryptomarkt bringen. Ist Circles EUROC eine große Chance für den europäischen DeFi-Markt? 

Patrick Hansen: USDC ist im Bereich DeFi die unangefochtene Nummer 1 im Vergleich der Stablecoins. Die Chance, dass auch EUROC im Bereich DeFi eine gute Rolle spielt, stehen deshalb gut. Ich würde mich jedenfalls freuen, mehr und mehr Euro-basierte Liquidity Pools und Euro-Investmentmöglichkeiten im DeFi-Space zu sehen.

Mehr zum Thema:

Circle lanciert Euro-Stablecoin EUROC

Peter Grosskopf von Unstoppable Finance: “DeFi in Europa hat praktisch keine Lobby”

Europas „Bitcoin-Schutzengel“ Stefan Berger im Interview – Warum die MiCA-Regulierung so wichtig ist