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Ende Juni 2017 hat der Präsident Venezuelas Nicolas Maduro angefangen, über die Medien ein neues Zahlungsinstrument zu verbreiten - die von der Regierung ausgegebene Kryptowährung Petro.

Der Vorverkauf des Petro wurde am 20. Februar gestartet und hat bereits 598 Mio. Euro eingebracht. Das geht aus Maduros Twitter-Profil hervor. Insgesamt wurden für den Verkauf 100 Mio. PTR ausgegeben. Der Wert beläuft sich auf 4,8 Mrd. Euro. Der Vorverkauf endet am 19. März.  

Das kontroverse Projekt wirft folgende Fragen auf: Welche Bedeutung hat der Petro in einem wirtschaftlichen Kontext und wie nützlich könnte er der Weltwirtschaft wirklich sein? Ist er eine Kryptowährung, ein stabiler Coin, Öl-Futures, ein neues Staatsschuldinstrument oder etwas anderes? Was sind mögliche wirtschaftliche Auswirkungen? Welche rechtlichen Folgen könnte das haben?

Nach sorgfältiger Prüfung des Petro-Weißbuches und anderer verfügbarer Daten präsentieren wir im Folgenden die Ergebnisse der Analyse.

Venezuela aktuell

Laut Maduro ist der Petro, der durch venezolanisches Rohöl gedeckt ist, eine der besten Möglichkeiten, neue Technologien einzusetzen. Damit soll sich die finanzielle Lage Venezuelas wieder erholen. Seit vielen Jahren leidet das Land an einer Hyperinflation um tausende Prozent pro Jahr. Außerdem haben US-Sanktionen Venezuela von den internationalen Kapitalmärkten abgeschnitten.

Ein riesiges Defizit des US-Dollar-Geldangebots hat dazu geführt, dass es keine Basisgüter gibt und zehnfache Preisdiskrepanzen zwischen offiziellen und Schwarzmarkt-Währungsbörsen für den venezolanischen Bolivar und den US-Dollar entstanden sind. Allerdings fällt diese finanzielle Katastrophe mit Venezuelas Status zusammen, da sie das größte Volumen an schnell abrufbaren nachgewiesenen Ölreserven besitzt. Dies geht aus einer Beurteilung der OPEC hervor und damit liegt Venezuela weit vor bekannten Ölproduzenten wie Saudi-Arabien, Kuwait und anderen.

Aber es scheinen noch beängstigendere Nachrichten aufzukommen. Die US-Regierung wurde dazu gedrängt, bald ein vollständiges Embargo auf venezolanisches Öl zu verhängen. Laut Exportstatistiken sind die USA der Hauptabnehmer von venezolanischem Öl und die Hauptquelle von "harter Währung" - dem US-Dollar. Der Ausschluss des Marktes von der Ölexportstruktur könnte zu einer noch dramatischeren Wirtschaftslage im Land führen.

Die Idee, eine Regierungs-Kryptowährung auszugeben, gab es bereits vorher (in Japan, VAE, Russland und einigen anderen Ländern). Doch die Idee ist bisher an der Autorisierung durch leitende Beamte und an der praktischen Umsetzung gescheitert.

Der Petro wurde offiziell von der venezolanischen Regierung anerkannt. Präsident Maduro hat ein Weißbuch unterzeichnet, in dem die Bedingungen und Daten des Token-Verkaufs eindeutig festgelegt sind. Seine Gültigkeit erstreckt sich sowohl auf die internen als auch an die externen Märkte und wird auch auf den Ebenen der ALBA (Bolivarische Allianz für die Völker unseres Amerika) und OPEC (Organisation erdölexportierender Länder) gelten.

El Petro-Weißbuch

Das ursprüngliche Weißbuch, das auf der offiziellen Website der venezolanischen Regierung veröffentlicht wurde, beschreibt den Prozess der Ausgabe des Petro. Die erste Auszahlung erfolgt auf der Ethereum-Plattform als Standard-ERC20-Token. Außerdem wird der Petro-Kurs an einen Barrel venezolanischem Rohöls gekoppelt.

Die echten Coas von Petro

Die grundlegenden Elemente von Petro werden im Weißbuch wie folgt dargelegt: (alle Informationen in dieser Tabelle sind die Zusammenfassung des Weißbuchs und die Details werden wie im Originaldokument angegeben):


Petro: allgemeine Informationen

Der Petro ist nicht nur ein Token, der an den Preis von Rohöl gekoppelt ist. Es gibt ein viel breiteres Funktionsspektrum:

  • Ein vorübergehender Vermögenswert für den Austausch von Gütern und Dienstleistungen und auch Fiat-Geld
  • Eine digitale Plattform für die Ausgabe und den Handel von stabilen Krypto-Vermögenswerten, die durch Rohstoffe gedeckt werden
  • Eine Spareinlage-Möglichkeit und ein Anlageinstrument

Leider wird das Weißbuch in einer allgemeinen Sprache verfasst. Dabei gibt es keine Details zu einer möglichen technologischen Grundlage, um eine vollständige digitale Plattform zu starten. Pläne zur Entwicklung einer solchen Plattform fehlen ebenfalls.


Petro: Informationen zur Erstausgabe und zur Verteilung

100 Mio. Coins werden beim Start ausgegeben. Die anfängliche Verteilung ist wie folgt geplant:

  • 38,4 Prozent Vorverkauf
  • 44 Prozent offener Verkauf
  • 17,6 Prozent werden bei der venezolanischen Aufsichtsbehörde für Kryptowährungen und verwandte Aktivitäten (SUPCACVEN) aufbewahrt.

Die Mindesteinheit des El Petro wird "Mene" genannt und entspricht 10-8 Petro. "Die Gesamtemission von El Petro soll beim Initial Coin Offering durchgeführt werden" und weiter unten im Dokument sehen wir, dass eine "zusätzliche Emission gemäß dem Ergebnis einer El Petro-Besitzerabstimmung erfolgen kann: 1 Coin entspricht einer Wahlstimme."


Petro: Wirtschaftliche Anwendungsfälle

Die Architektur des Projekts zielt auf die maximale Beteiligung von El Petro bei Zahlungen zwischen Wirtschaftsakteuren ab. Die Hauptanwendungsfälle sind folgende:

  • Als Zahlungsmittel für venezolanisches Öl über den direkten Austausch von Kryptowährung zum tatsächlichen Ölversand
  • Als legales Zahlungsmittel auf dem Territorium Venezuelas, das für Steuerzahlungen, Steuereintreibung, Steuerabgaben gestattet ist und die offizielle Anerkennung als Zahlungsmittel für Einzelpersonen und Unternehmen hat. Um die Nutzung zu intensivieren, gibt es einen speziellen Rabattindex (Dv)**:

Akzeptanzpreis von Petro = Ölpreis/Bolivar*(1-Dv)

**Dv beträgt mindestens 10 Prozent

Scheinbar bedeutet das, dass die Zahlung von Steuern und anderen Abrechnungen mit staatlichen Stellen in El Petro zum aktuellen Wechselkurs mindestens 10 Prozent billiger ist als in traditioneller Währung (also in Bolivar).

In Zukunft soll der Einsatz von Petro auch auf andere Zahlungsmärkte ausgedehnt werden, um seine Nutzung in der Welt als stabile Währung zu fördern, die durch eine tatsächliche Ressource gedeckt ist.


Petro: Rechtliche Aspekte

Das Dokument besagt, dass der Petro die venezolanischen Gesetze vollständig einhalten wird. Die Opposition in der Nationalversammlung behauptete jedoch öffentlich, dass die Ausgabe von Petro illegal sei. Einige Geschäfte mit Petro, wie zum Beispiel Erstverkäufe, der Tausch gegen Öl und andere Vermögenswerte auf "autorisierten Börsenplätzen", werden in strikter Übereinstimmung mit KYC/AML durchgeführt. Aber die Standards dafür sind nicht im Dokument angegeben.


Insgesamt geht das Dokument weit über den Bereich hinaus, der für den Petro Ende Dezember und Anfang Januar laut den Medien vorgesehen war. Früher wurde er als einfache Kryptowährung betrachtet, die durch Öl unterstützt wird, angesehen. Im Verlauf der weitergehenden Untersuchung des Weißbuchs konnte man jedoch erkennen, dass er auch die zukünftige Schaffung einer Plattform für e-Commodities (digitale Darstellung von Waren/Rohstoffen) ankündigt. Dadurch wird das Konzept stark erweitert.

Gleichzeitig fehlen in einigen Teilen des Weißbuchs genaue Details und einige Aussagen sind nicht ausreichend begründet. Einige Informationen darin könnten widersprüchlich erscheinen. Ein gründlicheres Weißbuch mit zusätzlichen technischen Details würde wahrscheinlich viel mehr Interesse und Vertrauen in der globalen Krypto-Community wecken.

Wirtschaftliche Aspekte

Der Petro könnte als "ein gesetzliches Zahlungsmittel" oder "eine gesetzliche Währung" bezeichnet werden und von der Regierung gestattet ist. Das Konzept wirft die Frage auf, wie die Verwendung einer einzelnen Währung als gesetzliches Zahlungsmittel für Waren und Dienstleistungen für Unternehmen, Einzelpersonen und die Regierung festgelegt werden kann. Dies führt zu mehreren grundlegenden Vermutungen:

  • Jede Einzelperson oder jedes Unternehmen muss dieses Zahlungsmittel als Zahlung in einer privaten oder öffentlichen Transaktion akzeptieren
  • Alle Steuern, Steuerabgaben, Steuerverpflichtungen und Verbrauchsteuern sowie andere Zahlungen an staatliche Stellen können ausschließlich nur in dieser Währung (Währungen) geleistet werden.

Im Fall von Petro können die Regierung, die Unternehmen und die Einzelpersonen ihn als Währung für alle Zahlungen und Abgaben akzeptieren (sind aber nicht dazu verpflichtet). Das Weißbuch fordert die maximale Nutzung des Petro. Dies zeigt auch der Discount-Index, der den Petro für den Einsatz auf dem Markt im Vergleich zum Bolivar tatsächlich vorteilhafter macht. Doch trotz all dieser Aspekte, können wir immer noch nicht bestätigen, dass der Petro dem Konzept eines vollständigen, legalen Zahlungsmittels entspricht. Es ist ein Zahlungsinstrument, das Eigenschaften eines legalen Zahlungsmittels aufweist, aber nicht unbedingt ein solches ist.

In Wirklichkeit muss der Wert der ausgegebenen Währung durch die Haftung der venezolanischen Regierung bei der Lieferung der Waren, also des Öls, "gesichert" werden. Auch dadurch, dass sie Zahlungsmittel an staatliche Stellen angenommen wird. Theoretisch ähnelt der Petro eher der Währung der Goldstandardperiode, die dank der Blockchain-Technologie technisch umgesetzt wird.

Petro-Konzept

Das Konzept des Petro scheint sowohl einfach als auch kompliziert zu sein. Bis jetzt gab es keinen Präzedenzfall, bei dem Kryptowährungen mit solch einer breiten Funktionalität für den Massenmarkt durch die Regierung ausgegeben wurden. Petro ist der "Schnittpunkt" einiger bekannter Konzepte aus der konventionellen Finanzwelt.

In Venezuela entspricht der Petro beinahe dem Konzept eines legalen Abwicklungsmediums. Im globalen Handel ist er im Wesentlichen ein bedingt stabiler Krypto-Vermögenswert (Öl weist ebenfalls eine gewisse Volatilität auf), bei dem es sich tatsächlich um ein Öl-Future ohne einen bestimmten Liefertermin handelt. Der Petro könnte auch als Instrument für Steuern und Abgaben mit Preisnachlässen in einem bestimmten Rechtssystem bewertet werden (in der ICO-Welt: ein Token-Rabatt auf die einzigartigen Güter und Dienstleistungen des Projekts). Aus Sicht der Investoren wird zum Zeitpunkt des Crowdsale der Kauf der zukünftigen Öllieferung (die Futures) mit dem nominalen Rabatt getätigt.

Neues Geldaggregat

Also kann der Petro insgesamt als neues Geldaggregat in der Struktur der venezolanischen Währungsmasse angesehen werden. Anders als beim Bolivar wird erwartet, dass er leicht in US-Dollar und andere Währungen umgewandelt werden kann, was Venezuela im Exportgeschäft helfen wird.

Daher ist er letztendlich ein "spezielles Geldaggregat für internationale Zahlungen". Da es geplant ist, 100 Millionen Coins auszugeben, die jeweils einem Barrel Öl entsprechen, beträgt die Gesamtkapitalisierung 4,8 Mrd. Euro.

Diese Summe wird tatsächlich während des Initial Coin Offering im Raum stehen, bei dem die venezolanische Regierung mehrere Milliarden von realen US-Dollar von den Investoren erhält. Unter Berücksichtigung der Koppelung mit dem Ölpreis und basierend auf der Preisspanne ab 2008 (24 Euro - 122 Euro BBL) könnten wir behaupten, dass dieses Geldaggregat irgendwo zwischen 2,4 Mrd. Euro und 12,2 Mrd. Euro liegen wird. Das Weißbuch bietet keine Begründung dafür, warum gerade diese bestimmte Menge an Coins ausgegeben wird. Dieser Betrag sollte sich jedoch wahrscheinlich nach der Nachfrage des Landes nach US-Dollar und Außenhandelsgeschäften richten.

Zahlungen in Petro

Von nun an ist der staatliche Ölkonzern PDVSA auf Anordnung von Nicolás Maduro dazu verpflichtet, Geschäfte in Petro durchzuführen. Darüber hinaus können alle öffentlichen und privaten Dienste wie Hotels oder Dienstleistungen der venezolanischen Konsulate den Petro als Zahlungsmittel akzeptieren. Die Digitalwährung ist noch nicht einmal im Umlauf, doch Maduro bereitet bereits eine vollwertige Gesetzesgrundlage und Infrastruktur für die zukünftige Akzeptanz von Petro vor.

Aufkommende Fragen

Es bleiben viele Fragen offen, wenn man das Projekt genau betrachtet. Die Antworten auf diese zu finden, könnte die Zukunft von Petro klarer machen. Wir möchten hier ein paar der wichtigsten Fragen auflisten:

  1. Ist er eine Währung oder ein Öl-Future? Und inwieweit ist das legal? Angesichts der Situation Venezuelas mit den wirtschaftlichen Sanktionen, ist es sehr unwahrscheinlich, dass dieses Zahlungsinstrument von der globalen Gemeinschaft einfach akzeptiert wird. Und wenn sie nicht akzeptiert werden sollte, könnten Petro-Investoren und -Nutzer mit den Gesetzen außerhalb von Venezuela in Konflikt geraten.
  2. Was sind die Risiken in Bezug auf Geldwäsche beim Petro? Es besteht natürlich die Möglichkeit, dass er mit Geldern gekauft werden könnte, die jemand illegal an Kryptobörsen oder privat erhalten hat. Dann könnte er gegen Öl getauscht werden und wäre damit "gewaschen" und dokumentiert worden und könnte schließlich in verschiedenen Gerichtsbarkeiten unter legalen Bedingungen verkauft werden.
  3. Unter Berücksichtigung der politischen und wirtschaftlichen Situation in Venezuela und des Grades der Korruption, ist es sehr wahrscheinlich, dass KYC/AML zu einem eher byzantinischen Verfahren werden könnten. Eine weitere Frage ist, ob große Kryptobörsen sich bereit erklären würden, einen Token zu notieren, der in Bezug auf die Einhaltung der Gesetze widersprüchlich ist.
  4. Das Projekt wird zunächst auf einer digitalen Plattform veröffentlicht. Es gibt jedoch keine Informationen zu den technischen Details des zukünftigen Blockchain-Systems.
  5. Wie wird der Rabattindex aussehen? Das Weißbuch gibt an, dass "nicht weniger als 10 Prozent" verfügbar sein werden. Dies könnte eine Hebelwirkung bei der Popularität des Petro im Land haben.
  6. Es sollte erwähnt werden, dass die Einführung von Petro die venezolanische Nationalwährung Bolivar in eine noch schlimmere Lage versetzen könnte.
  7. Die Frage nach einer zusätzlichen Ausgabe ist nicht vollständig transparent. Wenn es auf die Stimmen der Besitzer ankommt, dann profitiert die Regierung natürlich davon, mehr als 50 Prozent der Coins zu halten und früher oder später mit der Verbreitung in einer von ihr selbst gewählten Menge beginnt. Einerseits würde das Venezuelas Wirtschaft nützen: das könnte den Druck von "harter Währung" in Schwung bringen. Doch auf der anderen Seite könnte ein Vertrauensproblem entstehen.

Fortsetzung folgt...

Der Petro hat einen Präzedenzfall geschaffen, bei dem es um die Einführung einer Kryptowährung geht, die von der Regierung geschaffen und von einer physisch greifbaren Ressource gesichert wurde. Dieses Instrument zeichnet sich durch ein breites Funktionsspektrum aus, das mit regulärem Geld und konventionellen Finanzinstrumenten vergleichbar ist.

Im Moment wirft das Projekt jedoch viele Fragen auf und liefert nur wenige Antworten. Es gleicht immer noch eher einem schön gestalteten Konzept als einem echten und anwendbaren Finanzinstrument, das weltweit funktionieren könnte.

Es sollte erwähnt werden, dass sich die Kryptowährungswelt auf dem Niveau einer postindustriellen Wirtschaft befindet. Das bedeutet, dass sie aus wirtschaftlichen Gemeinschaften besteht, die selbstständig Wertgegenstände ausgeben und die Preise selbst bestimmen. Daher ist jeder Versuch, die Kosten durch irgendeine Art von Verbindlichkeiten zu sichern, ziemlich riskant.  Wie die Geschichte zeigt, vergessen die Geldausgeber ihre finanziellen Verbindlichkeiten gerne. Wenn man Venezuelas schlechten Ruf auf den Weltfinanzmärkten in Betracht zieht, könnte man sich über das Versprechen von Petro zweimal Gedanken machen.

Die große Frage ist also immer noch da: Ist der Petro ein stabiler Coin für die Kryptowirtschaft der Welt oder nur ein illegal ausgegebenes Öl-Future? Das bleibt abzuwarten.

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