Im Februar veröffentlichte die Kulturkritikerin Alison P. Davis in The Cut einen Artikel mit dem Titel "A Vibe Shift is Coming. Will Any of Us Survive It?". Auf Deutsch bedeutet dieser Titel so viel wie "Es kommt ein Stimmungswandel auf uns zu. Werden wir das überleben?". Dieser "Stimmungswandel", von dem Davis spricht, hat nichts mit Kryptowährungen zu tun. Sie bezog sich dabei auf einen Wandel in der Popkultur und den gesellschaftlichen Trends, insbesondere angesichts der Tatsache, dass die sogenannte Generation Z (GenZ) zu Trendsettern und kulturell relevant werden. Nichtsdestotrotz fiel mir ihr Artikel auf, weil sie etwas Entscheidendes auf den Punkt gebracht hat, das auch ich empfinde, insbesondere in Bezug auf Kryptowährungen. Der Paradigmenwechsel hin zum nächsten kulturellen Moment, was auch immer das sein mag, ist spürbar, wenn auch nicht greifbar. Wir können nicht genau sagen was es ist, aber wir wissen, dass es da ist. Die konkreten Bedingungen haben sich noch nicht geändert, aber die Stimmung definitiv.

Kurz nach der Veröffentlichung erregte der Begriff "Vibe Shift", also der "Stimmungswandel", auf Twitter viel Aufmerksamkeit und erntete in einigen Fällen auch Spott. So albern der Begriff auch klingen mag, er beschreibt etwas Reales und Ähnliches, das im Kryptobereich passiert. Es mag lächerlich klingen, aber in der Kryptowelt findet ein Vibe Shift statt.

Ich mag den Begriff "Vibe Shift", weil er genau das beschreibt: Ein Gefühl, eine Vorahnung, eine Stimmung, eine Atmosphäre, einen Vibe. In der noch relativ kurzen Geschichte der Kryptowährungen folgten Vibe Shifts auf Veränderungen in der Technologie. Der anfängliche "Wildwest"- und "Alles ist möglich"-Optimismus im Bereich Kryptowährungen entstand durch den Übergang von Bitcoin (BTC) von einer Peer-to-Peer (P2P)-Zahlungslösung zu einem Wertaufbewahrungsmittel. Mit der Einführung von Ethereum, der das Potenzial von Smart Contracts demonstrierte, wurde diese Manie sogar noch verstärkt. Dieser halb-manische Optimismus wurde ernster und geschäftsmäßiger, als sich dezentrale Finanzierung (DeFi) auf den Layer-Two-Netzwerken entwickelte. Die Entwicklung von Non-fungible Token (NFT) hat Künstler und Musiker ins Spiel gebracht und nicht umgekehrt.

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Das ist weder gut noch schlecht, es ist einfach eine Tatsache. Die Technologie bestimmt den Diskurs im Bereich DeFi und Krypto. Das heißt auch, sie diktiert die Kultur. Man kann erst sagen, "das ist nicht mehr so", wenn die eigentliche Technologie ein gewisses Maß an hohem Anspruch und öffentlicher Anerkennung erreicht hat. Bei Krypto und DeFi ist das nun der Fall. Ein "Vibe Shift" im Krypto-Bereich ist ein neues Konzept, das gebraucht wird. Und wie sich das entfaltet, ist sehr interessant.

Die Art und Weise, wie wir über Kryptowährungen sprechen, ändert sich, aber nicht als Reaktion auf die Technologie selbst. Die Leute reden so, als seien sie ein Teil des Krypto-Bereichs, und das nicht nur, weil sie Geld investiert haben. Die Leute schreiben Kryptowährungen in der Welt eine größere Rolle zu. Nicht nur aus Eigennutz, um von der Akzeptanz durch die breite Masse zu profitieren.

Von Profit zu Politik

Kann ich mir erlauben, zu sagen, dass wir politisch geworden sind? Ich habe das zum ersten Mal bei den Protesten der kanadischen Trucker gegen die Impfpflicht bemerkt. Dieses Thema hat den Krypto-Raum aufgewühlt und es ging dabei nicht darum, ob man den Truckern zustimmt oder nicht. Da ihre traditionellen Vermögenswerte durch die Regierung eingefroren und die Trucker von bekannten Finanzierungsplattformen wie GoFundMe ausgeschlossen wurden, sind die Trucker auf Bitcoin übergegangen und konnten innerhalb weniger Tage 900.000 US-Dollar aufbringen. Die kanadische Regierung hat daraufhin versucht, Krypto-Vermögenswerte, die mit dem Konvoi im Zusammenhang stehen, zu sperren, war dabei aber nur teilweise erfolgreich. Als dann ein Richter in Ontario eine einstweilige Verfügung zum Einfrieren von Kryptowährungen in Höhe von mehreren Millionen Dollar erlassen hat, reagierte die Krypto-Community mit einer Mischung aus Protest und Spott. Die Multisignatur-Wallet Nunchuck hat öffentlich reagiert und erklärt, unabhängig von der Politik, könne sie die vorgeladenen Informationen nicht zur Verfügung stellen könnte, selbst wenn sie es wollte: "Wir sind ein Software-Anbieter und kein verwahrender Finanzintermediär". Als solcher habe das Unternehmen keine Möglichkeit, das Vermögen seiner Nutzer zu beschlagnahmen.

Diese Maßnahmen haben jedenfalls einige unschöne Dinge gezeigt. Die (zur Realität gewordene) Vorstellung, dass eine Regierung Krypto-Vermögen mit einem Gerichtsbeschluss und aus zumindest teilweise ideologischen Gründen beschlagnahmen könnte, läuft allem zuwider, worauf diese Community baut. Der russische Angriff auf die Ukraine hat dieses Gefühl nur noch verstärkt.

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Kryptonomie des Krieges

In den ersten Tagen der russischen Invasion sind einige interessante Dinge passiert. Die ukrainische Regierung bat frühzeitig um Spenden in Bitcoin (was unweigerlich dazu führte, dass Betrüger versuchten, davon zu profitieren). Daraufhin rief sie die Kryptobörsen dazu auf, russische Konten einzufrieren. Die Verwendung von Kryptowährungen als sicheren, finanziellen Hafen und zuverlässiges Wertaufbewahrungsmittel für ein Land, das sich im Krieg befindet, war ein Wendepunkt, dessen Auswirkungen wir noch jahrelang spüren werden. Viele dieser Börsen lehnten das mit der Begründung ab, dass damit einfache russische Bürger ungerechtfertigt für die Handlungen ihrer Regierung bestraft würden. Einige der größten Namen in diesem Bereich wollten mehr oder weniger neutral bleiben. Vitalik Buterin twitterte damals zu diesem Thema, dass Ethereum zwar neutral sei, er aber nicht.

Außerdem hat der Krieg in Europa dazu geführt, dass viele von uns das Interesse an den neuesten skurrilen NFT-Drops verloren haben, zumindest für den Moment. Zurzeit gibt es ernstere Themen, über die man sprechen muss. Und im Krypto-Bereich wird auch darüber gesprochen. Das ist der Vibe Shift und zu diesem kommt es nicht als Reaktion auf die Technologie. Dieser ist ein Resultat der Entwicklungen in der realen Welt, was wiederum auch die Konturen der Kryptowelt verändert. Das führt zu einer tiefgreifenden moralischen Abrechnung, die die Frage aufwirft, was der eigentliche Zweck von Kryptowährungen ist und für wen sie gedacht sind. Es geht um den Preis der Neutralität und darum, was Neutralität genau bedeutet.

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Wenn Kryptowährungen in die reale Welt eingedrungen sind, dringt die reale Welt jetzt in den Krypto-Bereich ein. Die kurzsichtige und realitätsferne Sichtweise, die unsere Gegner uns gerne vorwerfen, lässt allmählich nach. Dieser Vibe Shift macht es sehr schwierig, vorherzusagen, was als Nächstes kommt. Das gilt vor allem jetzt, wo wir plötzlich massiv geopolitisch verwickelt werden. Der Diskurs ist in eine andere Richtung gegangen, weil sich die Einsatzregeln geändert haben. Bei Krypto geht es um Spiel und Spaß und Affen, bis es zum Krieg kommt. Oder eben zu einem Konvoi.

Das Ende der Geschichte oder die Zukunft von Kryptowährungen?

Ich bin weiter zuversichtlich, was die Zukunft von Krypto und DeFi angeht. Aber diese Zukunft wird kompliziert sein. Der kanadische Konvoi und der Krieg in der Ukraine sind unerwartete Ereignisse, auf die es keine einfachen und in vielen Fällen sogar sehr unschöne Antworten gibt. Wie die meisten, die in diesem Bereich aktiv sind, glaube auch ich immer noch, dass ein großer Teil der harten und weichen Macht der Kryptowährung mit ihrem bankenlosen, dezentralen Status zusammenhängt, der außerhalb der traditionellen Mechanismen des globalen Finanzwesens stattfindet. Aber solche Dinge sind nie so einfach.

Der Sinn eines Vibe Shifts ist, dass keiner weiß, was als nächstes kommt. Wir beginnen gerade erst, die Macht der Kryptowährungen und die enormen Auswirkungen einer legitimen, zensurresistenten Finanzinfrastruktur zu begreifen. Was das für die Zukunft bedeutet und wie es weitergeht, ist ungewiss. Für uns steht dabei mehr auf dem Spiel als für die kulturellen Stammgäste von New York City, für die der Begriff ursprünglich gedacht war. Selbstverwaltetes Geld, das nicht vom traditionellen Finanzwesen kontrolliert wird, ist im Zusammenhang mit geopolitischen Konflikten und Kulturkriegen unerprobt. Was auch immer als nächstes passiert, wird alles verändern.

Dieser Artikel stellt keine Investmentberatung oder -empfehlung dar. Jedes Investment und jeder Handel bringen Risiken mit sich. Man sollte gut recherchieren, bevor man eine Entscheidung trifft.

Die Ansichten, Gedanken und Meinungen, die hier geäußert werden, sind allein die des Autors und spiegeln nicht unbedingt die Ansichten und Meinungen von Cointelegraph wider.

Dominik Schiener ist Mitbegründer der Iota Foundation, einer gemeinnützigen Stiftung aus Berlin. Er beaufsichtigt Partnerschaften und die Umsetzung der Vision des Projekts. IOTA ist eine Distributed-Ledger-Technologie für das Internet der Dinge und eine Kryptowährung. Außerdem gewann er den größten Blockchain-Hackathon in Shanghai. In den vergangenen zwei Jahren hat er sich mit IOTA auf die Förderung der Maschinenwirtschaft konzentriert.