Aufgrund des Ukraine-Russland-Konflikts ist Geopolitik derzeit in aller Munde. Während sich auf Social Media bis vor ein paar Wochen hauptsächlich Virologen und Epidemiologien tummelten, versucht man sich derzeit vor allem als Geopolitik-Experte. Die Situation wirklich einzuschätzen, das vermag angesichts der Komplexität niemand  – was nicht heißen soll, dass die kriegerischen Handlungen nicht zu verurteilen sind.

Denn Gewinner gibt es in einem Krieg bekanntlich keine. Gleichwohl beeindruckend ist, dass sich Kryptowährungen inmitten dieses aktuellen geopolitischen Hickhacks wiederfinden. Wie noch klar werden sollte, ist das kein Zufall. Wie der Autor dieser Zeilen glaubt, hat sich Bitcoin und damit die Krypto-Welt mittlerweile längst zu einem Hauptdarsteller auf der geopolitischen Weltbühne gemausert. 

Bitcoin: Gut oder Böse?

Wenn Krypto in den Mainstream-Medien thematisiert wird, geht es immer um die Frage: Sind Bitcoin und Co. eher Fluch oder doch Segen? Was deren negatives Gesicht betrifft, so wird befürchtet, dass Kryptowährungen die Anstrengungen des Westens in diesem Konflikt hintertreiben könnten.

So hat die westliche Welt auf die Angriffe Russlands in der Ukraine mit einer finanztechnischen Gegenoffensive geantwortet. Mit Sanktionen – allen voran dem Ausschluss russischer Finanzinstitutionen aus dem SWIFT-System – hat man Russland aus dem internationalen Zahlungsverkehr verbannt, um so Druck auf Putins Regierung auszuüben. Doch was, wenn Moskau Kryptowährungen zur Umgehung von Finanzsanktionen nutzen wird? 

Dahingegen positiv ausgewirkt hat sich, dass sich Kryptowährungen als wirksames Mittel für Spenden an ukrainische Kriegsflüchtlinge erwiesen haben. Bereits über 108 Millionen US-Dollar wurden bisher mit Bitcoin (BTC), Ether (ETH) und anderen Kryptoassets gespendet. Einige der Gelder stammen sogar von DAOs wie dem UkraineDAO oder NFT-Verkäufen

Neutrales Geld: Beunruhigend und bestechend zugleich

Einmal mehr zeigt sich, dass Kryptowährungen ambivalent und normativ nicht so einfach zu beurteilen sind. Während die Schweiz angekündigt hat, sogar russische Krypto-Vermögenswerte einzufrieren, sind die weltweit größten Kryptobörsen wie Coinbase oder Binance zurückhaltender und wollen nur Konten sperren, die spezielle mit Sanktionen in Verbindung gebracht werden können. Das Argument: Ein totales Verbot würde dem Ethos von Kryptowährungen widersprechen. Bitcoin soll Menschen gerade dann als Rettungsanker dienen, wenn sie ihn wirklich brauchen. Aus der Perspektive der russischen Bürger ist das gerade jetzt der Fall, wurde ihnen mit dem Mastercard- und Visa-Sperre doch gerade ein wichtige Bezahlmöglichkeit genommen

Ganz wertneutral gesehen: Es ist spannend zu beobachten, wie die Welt in Aufruhr gerät, wenn eine Form des Geldes wie die Kryptowährungen wieder zu ihrer ursprünglichen Form als neutrales Wertaufbewahrungs- und Tauschmittel zurückfindet. In unserer Gesellschaft sind wir es nämlich nicht mehr gewohnt, dass es Bereich gibt, welche von niemandem – auch nicht vom Staat – kontrolliert und gesteuert werden können. Genau dieser Umgewöhnungseffekt muss in den nächsten Jahren jedoch stattfinden, befindet sich unsere Welt doch geopolitisch im Umbruch und das Geld am Scheideweg. 

Bretton Woods 3.0

Dieser Ansicht ist nicht nur der Autor dieser Zeilen, sondern auch prominente Welt-Strategen wie beispielsweise Zoltan Pozsar. Wie kaum jemand anderes weiß der bekannte Geldmarktspezialist der Credit Suisse über die geopolitische Lage auf der Welt Bescheid. In seinem Bericht für die Bank schreibt er, dass die jüngsten Ereignisse der Beginn eines geopolitischen Regimewechsels darstellen würden, der zu einer multipolareren und somit einer neuen Weltordnung führen dürfte. 

Als Ausgangspunkt sieht Pozsar die Einfrierung von internationalen Währungsreserven der russischen Zentralbank, die wie ein Weckruf durch die ganze Welt ging. Nach den Angaben des Internationalen Währungsfonds werden über 59 Prozent der weltweiten Währungsreserven in US-Dollar aufbewahrt. Wenn also Währungsreserven derart leicht blockiert werden können, wird das China und andere souveräne Staaten sicherlich dazu bewegen, über ihre eigenen internationalen Reserven nachzudenken

Diese neue multipolare Weltordnung, über die schon lange geredet wird, dürfte also damit einen weiteren Schub erhalten haben. Doch wie könnte diese neue Weltordnung konkret aussehen? Aus der Vogelperspektive betrachtet, dürfte eine Dreiteilung der “(Geld-)Systeme” am wahrscheinlichsten sein. Während China den zentralistischen Weg gehen wird, dürften die USA und Europa einen Mittelweg zwischen Compliance und Freiheit gehen. Ein drittes (Geld-)System, dass beiden anderen in Sachen Maximierung der Freiheit und Souveränität des Individuums überlegen sein dürfte, wird die Bitcoin-Welt sein. 

China: Inbegriff des Zentralismus

In China zeichnet sich das neue (Geld-)System schon deutlich ab. Klar ist, dass man hier auf das CBDC-Konzept setzen wird. Offiziell eingeführt wurde dieser digitale Yuan auf den olympischen Winterspielen in Peking Anfang dieses Jahres. Als CBDC-Projekt soll der digitale Yuan in ein gesamtes System – auch Digital Currency and Electronic Payment (DCEP) genannt – eingebettet werden. Anders als andere CBDC-Projekte basiert das jene von China vollständig auf einer zentralisierten Datenbank. Obwohl eine Ausgabe über Alipay und WeChat möglich ist, verfolgt die chinesische Zentralbank die Idee einer Retail-CBDC, um direkten Kontakt zu den Endbenutzern zu haben. 

Betrachtet das man aus dem Inland heraus, dürfte es dabei vor allem um zwei Dinge gehen: Einerseits soll eine geldpolitische Steuerung durch eine CBDC als Instrument einfach sein. Andererseits ermöglicht eine CBDC eine noch nie dagewesene finanzielle Kontrolle über die eigenen Bürger. Läuft der Großteil aller Zahlungen über die CBDC, wird das Geld so zum Informationsspeicher für den Staat. China dürfte erkannt haben, dass keine andere Geldart die Geldfunktion der Informationsspeicherung so stark maximiert wie eine CBDC. Deshalb setzt die chinesische Regierung auf diesen Weg.

Für das Ausland könnte eine effiziente, weil zentralistisch orchestrierte CBDC internationale Relevanz gewinnen und so dem US-Dollar als globale Leitwährung Konkurrenz machen. Als potenzielle Hauptwährung der im Jahr 2013 gestarteten Initiative “Neue Seidenstraße” könnte die CBDC Chinas ihren ökonomischen Einfluss global ausweiten. Die jüngste Situation rund um den Ukraine-Russland-Konflikt hat das Land der Mitte ebenfalls genutzt, um seinen Einfluss zu erweitern. So scheint es, wird Russland nicht auf Kryptowährungen, sondern auf chinesische Lösungen wie UnionPay zur Umgehung von Sanktionen ausweichen.   

Freiheit als “Hemmschuh”?

Während man in China also weniger auf Freiheit setzt, ist das öffentliche Narrative in den westlichen Staaten ein anderes. So sollen digitale Zentralbankenwährungen nicht als autoritäre Macht- und Kontrollmittel missbraucht werden. Es geht vielmehr darum, das Finanzsystem zu modernisieren, die finanzielle Integration zu fördern sowie die geld- und fiskalpolitische Werkzeugkiste der Zentralbanken zu erweitern. Diese Sicht ist im Westen verbreitet, da sich der Westen doch noch immer als Hüter der freiheitlichen Werte betrachtet. 

Interessanterweise zeigen sich verschiedene Vertreter unterschiedlicher Zentralbanken im Hinblick auf eine Einführung von digitalem Zentralbankengeld in Form einer CBDC nach wie vor skeptisch. Besonders in den USA werden immer wieder Zweifel an einem Fedcoin laut. Während einige Leute keine unmittelbaren Vorteile sehen, sind andere skeptisch, ob eine CBDC insgesamt einen Gewinn für das System darstellen würde. 

Die digitale Entwicklung des Geld- und Finanzsystems wird auf private Innovationen setzen, da ein solcher Ansatz eher den westlichen Werten entspricht. So könnte eine CBDC allenfalls als Backend-Technologie (auch Wholesale-CBDC) zum Einsatz kommen. Das bewährte Modell einer öffentlich-privaten Partnerschaft beim Geld soll jedoch aufrechterhalten werden. Wahrscheinlich sieht es deshalb so aus, als ob der Westen versucht, sich Innovationen im Zusammenhang mit Stablecoins zunutze zu machen. 

Diese Ansicht wird insbesondere von bedeutenden Stimmen aus der US-Zentralbank vertreten. So wäre nicht auszuschließen, dass ein oder mehrere US-Dollar-Stablecoins die Rolle des Dollar übernehmen und dessen Funktion in einer zunehmend digitalen Weltwirtschaft angemessen wahrnehmen könnten. Die Institutionalisierung privater Stablecoins durch die USA könnte man als Versuch der gesamten westlichen Welt interpretieren, privatwirtschaftliche Elemente innerhalb der größeren Weltordnung aufrechtzuerhalten. Damit stünde dieser Ansatz im starken Kontrast zum chinesischen Vorgehen, welches im Westen als autoritär und zentralistisch kritisiert wird. 

Das westliche (Geld-)System wäre zwar mit mehr Freiheit verbunden als China, befindet sich aber nach wie vor in der Hand von Zentralbanken, die als Emittenten bei politischem Bedarf auf geldpolitische Interventionen zurückgreifen und den Wert der eigenen Währungen so unterminieren. Der westliche Ansatz würde zudem zwingend eine Regulierung erfordern, die wiederum die Erlaubnis- und Zensurfreiheit des Geldes einschränkt. Viele der Vorteile, welche die Bitcoin-Welt mit sich bringt, würden so unweigerlich abgeschwächt werden.

Zudem stellt sich die Frage, wie effizient ein derartiges (Geld-)System aus geo- sowie makroökonomischer Sicht sein wird, insbesondere im Vergleich zu einem chinesischen Modell, das durch Zentralismus auf Effektivität getrimmt ist. Könnte der Westen durch diese Strategie gegenüber einem effizienteren China, das auf geschlossenen Systemen beruht und daher schneller handeln kann, gar hinter sich gelassen werden? 

Öffentliche Blockchains als lachender Dritter

Was also, wenn sich der Machtkampf zwischen den USA und China rund um die geopolitischen Bemühungen zur Festigung der eigenen Hegemonie zunehmend zuspitzen? Die Konsequenz wäre ein neuer kalter Krieg, dessen Kampfschauplätze die digitalen Zentralbankwährungssysteme wären und zu Kollateralschäden für verschiedene kleinere Länder führen könnte. Die derzeit zunehmende Umwandlung der Finanzsysteme zur politischen Waffe dürften lediglich als Vorboten für kommende Konflikte und Auseinandersetzungen zu deuten sein. 

In diesem Szenario müssten sich vor allem die kleinen Nationen entweder für China, die USA oder Neutralität entscheiden. Letztere wird durch öffentliche Blockchains verkörpert und kann somit als Alternative dienen. 

Bitcoin und andere Kryptonetzwerke bieten eine neutrale Plattform, eine entnationalisierte und damit entmilitarisierte Zone, die sich für internationalen Handel, Wertaustausch und Kommunikation eignet. Da es sich wie im Fall von Bitcoin um eine unabhängige, nicht-staatliche, globale Abwicklungsstruktur handelt, die niemandem gehört, gestaltet sich eine Einflussnahme und Kontrolle schwierig. Ein kleines Land, das auf eine solche neutrale Plattform übergeht, kann damit das Risiko senken, in einem bevorstehenden digitalen kalten Krieg aufgerieben zu werden. 

Erste Akteure haben sich bereits für das neutrale (Geld-)System entschieden. Nachdem sich einzelne Unternehmen wie beispielsweise MicroStrategy dazu bekannt haben, Bitcoin als Reservevermögen anzuerkennen, ist El Salvador als Nationalstaat nachgerückt. Die mittelamerikanische Nation hat Bitcoin im Sommer 2021 als gesetzliches Zahlungsmittel neben dem US-Dollar eingeführt und hält mittlerweile Bitcoin in seiner Bilanz. Und auch in anderen Länder in Mittel- und Südamerika haben Politiker und Entscheidungsträger bereits ein Interesse an Bitcoin signalisiert. Inspiriert durch die Ereignisse in El Salvador wurde in Panama im September 2021 ein neuer Gesetzentwurf zur Legalisierung von Kryptowährungen und Bitcoin vorgelegt.

Krypto könnte sich somit als drittes (Geld-)Systems und damit als Zufluchtsort für all jene erweisen, die entweder der zentralistischen Kontrolle Chinas entfliehen oder durch die Ineffektivität des Zwittersystems im Wesen enttäuscht sind. Somit bleibt ihnen noch, in die dezentrale Kryptowelt überzugehen. Diese neue Welt würde nicht nur kleinen Regierungen Asyl gewähren, Kryptowährungen würden den Menschen dienen.  

Hilfreich – in der Realität aber komplizierter 

Die schematische Einteilung der Welt von Morgen in drei verschiedene (Geld-)Systeme verhilft, die stattfindenden geopolitischen Machtverschiebungen besser zu verstehen. Der Autor dieser Zeilen ist der festen Überzeugung, dass es diese drei (Geld-)Systeme sein werden, die es als die dominierenden Parteien beim bevorstehenden Bretton Woods 3.0 in die Geschichtsbücher schaffen werden. 

Natürlich ist die Trennung zwischen diesen in der Realität nicht ganz so klar, wie man sie sich in der Theorie ausmalt. Ein gutes Beispiel liefert Russland. So hat man bekannt gegeben, die ersten Testversuche für die eigene CBDC bereits begonnen zu haben. Gleichzeitig hat die russische Zentralbank dazu aufgerufen, Kryptowährungen im Land zu verbieten.

Diesem zentralistischen Vorhaben stehen Aussagen von Präsident Putin selbst entgegen, der über die Vorteile des Bitcoin-Minings für den russischen Staat gesprochen hat. Ein Mittelweg könnte so aussehen, das das Land auf Stablecoins setzt  – immerhin hat mit der Sberbank die größte russische Bank die Lancierung eines solchen bereits angekündigt. Und letztlich dürften es derzeit auch die russischen Bürger sein, die den Wert von Kryptowährungen persönlich für sich entdecken

Wie das Beispiel Russlands zeigt: Eine Schubladisierung in eine der drei Kategorien ist kaum möglich, dafür ist die Welt schlicht zu komplex. Nichtsdestotrotz sollen diese Dreiteilung der (Geld-)Systeme dabei helfen zu verstehen, in welche Richtung sich die Welt gerade bewegt. 

Pascal Hügli ist Moderator, Debattierer und Dozent an der HWZ. Als Analyst für den deutschsprachigen Newsletter Insight DeFi möchte er die breite Masse kompetent und prägnant über die Ereignisse und Chancen der neuen dezentralen Welt von Bitcoin und Co. informieren. Auch ist er Autor von Ignorieren auf eigene Gefahr: Die neue dezentrale Welt von Bitcoin und Blockchain.