Die Blockchain-Technologie hat sich über Kryptowährungen hinaus entwickelt und wird heute in vielen Bereichen eingesetzt, darunter dezentrale Datenbanken, die durch Transparenz und Sicherheit Fälschungen verhindern können.
Im Gesundheitswesen sind sensible Patientendaten besonders schutzbedürftig. Die Blockchain bietet eine innovative Lösung, um diese Daten zu sichern, ihre Integrität zu gewährleisten und Patienten mehr Kontrolle über ihre Informationen zu geben.
Die Technologie kann auch die Transparenz in Lieferketten verbessern und die Echtheit von Medikamenten überprüfen. Darüber hinaus hilft die Blockchain bei der Identifizierung im Gesundheitswesen und hat das Potenzial, die biomedizinische Forschung zu verbessern, indem sie die Speicherung und den Austausch von Daten vereinfacht.
Obwohl die Blockchain-Technologie zahlreiche Vorteile bietet, sind kaum Anwendungen im deutschen Gesundheitswesen zu finden.
Blockchain im Gesundheitssektor: Ungenutztes Potenzial in Deutschland?
Das Bundesgesundheitsministerium hat jedoch das Potenzial der Blockchain erkannt und 2019 eine Zukunftswerkstatt zu diesem Thema veranstaltet. Aus 142 Projektskizzen wurden 20 Finalisten ausgewählt und Projekte wie eBtM zur sicheren Verschreibung von Betäubungsmitteln, dPaCoS zur Verwaltung von Einwilligungserklärungen sowie eine Blockchain-basierte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (AU) prämiert. Keines dieser Projekte wurde bisher umgesetzt.
Unsere #Zukunftwerkstatt zum Thema #Blockchain im Gesundheitswesen startet. Die 20 Finalisten unseres Wettbewerbs stellen heute ihre Projekte vor. @_GLudewig pic.twitter.com/t5Pj4tYApj
— Bundesgesundheitsministerium (@BMG_Bund) February 27, 2019
Seitdem sind neue Initiativen entstanden, von denen jedoch viele isoliert und selten umgesetzt wurden. Ein Beispiel ist das Pilotprojekt DECADE, das untersucht, wie Blockchain-Technologie und Schwarmintelligenz in der Krebsforschung eingesetzt werden können, um die Entwicklung von KI-Systemen zu unterstützen und die Behandlung von Darmkrebspatienten zu verbessern. Im Jahr 2022 starteten Merck und Gerresheimer ein Pilotprojekt zur digitalen Rückverfolgbarkeit in der pharmazeutischen Lieferkette. Jede Primärverpackung erhält eine eindeutige ID, die den Zugang zu einem digitalen Zwilling und den sofortigen Zugriff auf Qualitäts- und Prozessdaten ermöglicht. Die Authentizität wird durch patentierte Krypto-Anker und digitale Zertifikate gewährleistet, die auf einer Blockchain-Plattform und Authentifizierungstechnologien von Merck basieren.
Auch die Bundesdruckerei engagiert sich im Bereich Identifikation und Authentifizierung mit dem Projekt Lissi – Let's initiate self-sovereign identity", das eine deutsche Community aus Wirtschafts- und Wissenschaftspartnern für Self-Sovereign Identity (SSI) aufbauen und neue Prototypen entwickeln soll. Die SSI-Technologie könnte Identifikationsprobleme im Gesundheitswesen lösen, konkrete Anwendungen in deutschen Gesundheitsprojekten stehen jedoch noch aus.
Was hindert Deutschland an Blockchain-Einführung?
Warum gibt es so wenige Blockchain-Projekte auf dem deutschen Gesundheitsmarkt, wenn die Technologie doch so vielversprechend ist?
Volker Nürnberg, Professor für Management im Gesundheitswesen an der Technischen Universität München, erklärte gegenüber Cointelegraph, dass der deutsche Gesundheitssektor stark reguliert ist und nicht immer als Innovationstreiber angesehen wird, was eine besondere Herausforderung für Startups darstellt:
"Der Gesundheitsbereich ist global betrachtet nicht immer der Innovationstreiber. Dazu kommt, dass es extrem [in Deutschland] reguliert ist. Durch den Dschungel der Paragraphen wollen sich gerade Startups nicht immer Kämpfen".
Nürnberg sprach auch die technischen, ethischen und datenschutzrechtlichen Hürden an, die die Implementierung von Blockchain erschweren. Der Schutz sensibler Daten und die Gewährleistung der Interoperabilität seien Schlüsselfaktoren: "Ohne Politik und Gesetzgeber – aufgrund der starken Regulierung im Gesundheitswesen – ist die Einführung der Blockchain-Technologie nicht möglich".
Dennoch sieht der Experte das Gesundheitswesen als "sehr gut geeignet" für Blockchain, da eine dezentrale Datenbank den Austausch zwischen den verschiedenen Akteuren erleichtern und für Notfalldaten genutzt werden könnte: "Eine sichere, dezentrale Datenbank ist eine gute Basis, um Daten zwischen Leistungserbringern, Kostenträgern und gegebenenfalls Versicherten auszutauschen”. Auch für die Registrierung von Nutzerdaten, wie sie das aktuelle Cannabisgesetz vorsieht, könnten Blockchain-Lösungen hilfreich sein.
Blockchain zwischen Bedenken und Chancen
Auch Lukas Weidener, promovierter Mediziner und Investor in verschiedenen DeSci-DAOs, der gemeinsam mit Stephanie Widmaier für das Projekt zur elektronischen Krankschreibung den dritten Platz belegte, nennt verschiedene Herausforderungen, die der Verbreitung der Blockchain-Technologie im Wege stehen. Eine große Hürde sei die “hohe Regulierungsdichte” im deutschen Gesundheitswesen, die eine schnelle Implementierung neuer Technologien erschwere, so der Experte. “Besonders strenge Datenschutzbestimmungen zum Schutz sensibler Patientendaten stellen hohe Anforderungen an die Sicherheit und Vertraulichkeit von Blockchain-Systemen.”
Auch die Assoziation der Blockchain-Technologie mit der Volatilität und den Sicherheitsbedenken von Kryptowährungen beeinflusse die öffentliche Wahrnehmung negativ, so Weidener. “Darüber hinaus kann auch der wahrgenommene Energieverbrauch einiger Blockchain-Protokolle zu Bedenken hinsichtlich der ökologischen Nachhaltigkeit führen.” Auch wenn vor allem erneuerbare Energien genutzt werden oder deren Ausbau gefördert wird, kann diese Wahrnehmung die allgemeine Akzeptanz der Technologie beeinträchtigen.
“Dies könnte zu Vorbehalten bei Entscheidungsträgern und Nutzern im Gesundheitswesen führen, die die Technologie mit Skepsis betrachten, insbesondere wenn Nachhaltigkeit und Umweltschutz in ihren Organisationen eine wichtige Rolle spielen.”
Neben diesen Hürden erschweren auch die strengen Zulassungsverfahren für Medizinprodukte die Integration von Blockchain-Lösungen in das Gesundheitswesen. “Die strengen Auflagen und Zertifizierungsprozesse für Medizinprodukte bedeuten, dass jede technologische Innovation umfangreiche Tests und Zulassungsverfahren durchlaufen muss, was den Innovationszyklus verlangsamt.”
Auch die Einführung der Blockchain-Technologie im Gesundheitswesen sei mit erheblichen Investitionen in Technologie und Know-how verbunden, was insbesondere für kleinere Kliniken und Arztpraxen eine besondere Herausforderung darstellt. Die Notwendigkeit, bestehende IT-Infrastrukturen zu aktualisieren oder sogar komplett zu ersetzen, sowie der Mangel an standardisierten Lösungen erschweren die Umsetzung zusätzlich.
DSGVO: Einzigartige Herausforderungen für Blockchains
Die Datenschutzgrundverordnung (DSGVO) stellt sicher, dass sensible Patientendaten unter Einhaltung strenger Sicherheits- und Vertraulichkeitsanforderungen verarbeitet werden. Das ist besonders wichtig im Gesundheitswesen, wo der Missbrauch oder die unbefugte Weitergabe von Daten schwerwiegende Folgen haben kann.
Die Einhaltung der Datenschutzgrundverordnung kann daher als Qualitätsmerkmal und Vertrauensbasis für Patienten und Nutzer angesehen werden, da sie gewährleistet, dass ihre Daten sicher sind und sorgfältig behandelt werden.
Diese Datenschutz- und Sicherheitsanforderungen können laut Weidener jedoch eine Herausforderung für Blockchain-Anwendungen darstellen. Diese Technologie setzt auf Datentransparenz und Unveränderbarkeit, was mit dem Recht auf Vergessenwerden oder dem Grundsatz der Datenminimierung in Konflikt geraten kann. Weidener sagte, dass diese Regelungen dazu führen könnten, dass Firmen in anderen Ländern deutsche Unternehmen überholen und damit die Kontrolle und den Einfluss der deutschen Industrie auf die globale Entwicklung dieser Technologien einschränken.
Andererseits biete die DSGVO auch die Chance, die Entwicklung von Blockchain-Anwendungen zu fördern, die von vornherein auf die Einhaltung hoher Standards ausgelegt sind. "Das könnte Deutschland zum Vorreiter bei der Entwicklung sicherer, transparenter und patientenorientierter Blockchain-Lösungen im Gesundheitswesen machen", so Weidener.
Der Experte hält eine enge Zusammenarbeit zwischen Technologieentwicklern, Datenschutzbeauftragten und Regulierungsbehörden für notwendig, um die Vorteile der Blockchain-Technologie voll auszuschöpfen und die Anforderungen der DSGVO zu erfüllen. “Ziel muss es sein, innovative Lösungen zu entwickeln, die sowohl den technischen Fortschritt als auch den Schutz und die Sicherheit von Patientendaten gewährleisten.”
Investitionen in Forschung und Finanzierung notwendig
Die Einführung der Blockchain-Technologie im Gesundheitswesen erfordere zudem erhebliche Investitionen in Technologie und Know-how, was insbesondere für kleinere Kliniken und Praxen eine Herausforderung darstelle. Erschwerend kommt laut Weidener hinzu, dass bestehende IT-Infrastrukturen modernisiert oder sogar komplett ersetzt werden müssen. Auch das Fehlen standardisierter Lösungen verlangsame die Umsetzung erheblich.
Weidener betonte die Bedeutung gezielter Investitionen in Forschung und Förderung, insbesondere für neue datenschutzfreundliche Technologien. Ohne diese Investitionen drohe Deutschland technologisch zurückzufallen. Den Patienten bliebe dann der Zugang zu fortschrittlichen Technologien verwehrt.
Wichtig sind laut Weidener auch die Interoperabilität und Integration mit bestehenden IT-Infrastrukturen sowie die Entwicklung von auf Nutzer fokussierten Anwendungen, die eine einfache Interaktion mit Blockchain-basierten Gesundheitsanwendungen ermöglichen.
“Nur so kann Deutschland eine führende Rolle bei der Entwicklung und Implementierung von Blockchain-Anwendungen im Gesundheitswesen einnehmen.”
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