Videospiele wurden im späten 20. Jahrhundert als Mittel zur Ablenkung vom Alltag entwickelt. Doch neuere Technologien und eine digitale Gesellschaft haben dazu beigetragen, dass aus einer Freizeitbeschäftigung eine milliardenschwere Industrie geworden ist, die ständig wächst.

Von den 1970er- bis zu den 2000er-Jahren waren Pay-to-Play-Spiele das vorherrschende Modell. Hier konnte man die Software entweder mit einer einmaligen Zahlung kaufen oder diese, meist in Form von Monatsabos, auf Zeit nutzen.

In den 2010er Jahren haben Unternehmen allmählich das Free-to-Play-Modell erforscht und profitierten dabei von globalen App-Stores und Marktplätzen, die erfolgreiche Franchises wie Fortnite und Apex Legends hervorgebracht haben. Darüber hinaus haben Streaming-Plattformen wie Twitch und das Aufkommen großer Esports-Communities eine weitere wirtschaftliche Ebene für professionelle Gamer und Entwickler geschaffen.

Seit kurzem wird auch das Play-to-Earn-Modell (P2E) populärer. Nicht nur können Gamer umsonst spielen, sie können sogar beim Spielen Geld verdienen. 

Mit der Einführung von Blockchain-Technologien wurden Spiele zu mehr als nur Unterhaltung. Blockchain-basierte Spiele geben Gamern, Nutzern und Entwicklern dank der Eigentumsrechte bei NFTs und den wirtschaftlichen Merkmalen von Kryptowährungen mehr Möglichkeiten. Darüber hinaus haben Blockchain-basierte Spiele und die ihnen zugrundeliegende Infrastruktur seit Anfang 2021 mindestens 7 Milliarden US-Dollar an Investitionen von VCs und institutionellen Investoren erhalten.

Wie entwickelt sich aber der deutsche Gaming-Bereich? Werden P2E-Spiele unsere Arbeitswelt verändern? Welche Regulierung wäre hier vernünftig? 

Cointelegraph auf Deutsch hat diese Fragen Carsten van Husen, dem deutschen Games-Experten, gestellt. Als langjähriger Gameforge-Chef konnte van Husen viel Erfahrung im Gaming-Bereich sammeln und gründete nun 2021 sein eigenes Startup-Projekt namens Eleet Games mit Sitz im baden-württembergischen Ettlingen.

Cointelegraph auf Deutsch: Hinter "Play to earn" steckt das Prinzip: Statt zu bezahlen, verdienen Spieler Geld. Wie funktioniert das genau?

Carsten van Husen: In P2E-Spielen sind Games eigene Ökosysteme, in denen Mitspieler Werte schaffen, für die andere Spieler bereit sind, Geld auszugeben – wie im richtigen Leben.

Das ist bei Gamern überhaupt nichts grundsätzlich Neues: Bereits seit zwei Jahrzehnten geben Spieler Geld für In-Game-Gegenstände, erfolgreich angespielte Charaktere oder schlicht In-Game-Währung aus. Sie kaufen sie entweder im Item-Shop des Anbieters, aber auch sehr häufig auf sekundären Marktplätzen von oft dubiosen Dritt-Anbietern mit diversen Transaktionsrisiken. 

Durch die Blockchain werden solche Transaktionen öffentlich nachvollziehbar und insofern sicher. Durch Unterstützung des Play-to-Earn-Konzepts durch den Spiele-Anbieter werden sie legal. Spieler erschaffen Inhalte, sogenannten “User Generated Content”, die ganz offiziell weiterverkauft werden. So können Spieler Geld einnehmen, immer vorausgesetzt, es gibt einen Abnehmer für den geschaffenen Content. Sollten diese Abnehmer ausbleiben, weil das Spiel unpopulär geworden ist, dann versiegt natürlich auch die Möglichkeit für entsprechenden Umsatz oder Gewinn.

CT: Sind solche Krypto-P2E-Spiele die Zukunft der Arbeit? Können Sie unsere Arbeitswelt verändern, besonders heute, wo Maschinen immer mehr Jobs übernehmen?

Carsten van Husen: Es ist grundsätzlich möglich, spielerisch Geld zu verdienen. Zur Zukunft der Arbeit würde ich es persönlich allerdings nicht „hochjazzen“ wollen. 

Wenn das Spiel populär ist, kann die Zahlungsbereitschaft für derartigen “User Generated Content” sehr hoch sein, immer abhängig davon, wie funktional, vereinzelt auch wie hübsch und wie selten der erspielte digitale Gegenstand ist.

Tatsächlich gibt es seit Sommer 2021 vereinzelt Blockchain-Games, bei denen die Preise für derartigen Content so hoch geworden sind, dass Menschen durch das Erspielen von Gegenständen in diesem Spiel ein Einkommen erzielen können. Allerdings funktioniert dieses Entgelt als Lohnersatz mittelfristig nur dann, wenn die Einkommenserwartung recht gering ist – nach unseren Maßstäben. So haben vor allem auf den Philippinen, aber auch in anderen Ländern Südostasiens und Lateinamerikas Menschen mit ihrem niedrigen Lohnniveau umgesattelt auf „Axie Infinity“-Spiele und somit genau so viel Geld oder auch mehr erwirtschaftet, als sie als Tagelöhner bekommen hätten.

So toll und freudvoll es klingt, mit Spielen Geld zu verdienen, genauso differenziert und ernsthaft sollte man über das Thema nachdenken. Ist das auf das Gewinnerzielung ausgerichtete Erspielen dieser Gegenstände in einem Spiel überhaupt noch fundamental, beim Spielen also noch freudvoll bzw. unterhaltsam? Wie nachhaltig ist die Verkaufsmöglichkeit? Wird ein dauerhafter Wert geschaffen oder ist das Spiel nur gerade in einer Hype-Phase, die später mal abebbt, mit einem entsprechend zu befürchtendem Preisverfall für die Gegenstände? 

CT: NFTs erobern nach der Kunst- und der Finanzwelt nun auch den Gaming-Bereich. Wie schätzen Sie diese Entwicklung ein?

Carsten van Husen: Der viel gelobten Chance, NFTs von überallher zusammen in einem Metaversum zu vereinigen, stehe ich persönlich skeptisch gegenüber. „Drawn together“ erzeugt selten eine homogen-geschlossene und unterhaltsame Umgebung. Kuratierte Spielerlebnisse, die eine stringente Geschichte erzählen, sind viel unterhaltsamer als animierte Chat-Welten, wie sie übrigens auch vor fast 20 Jahren bei Second Life bereits existiert haben.

Dessen ungeachtet bietet die Technologie rund um NFTs wirklich tolle Möglichkeiten – auch und sogar ganz besonders im Gaming-Bereich. Denn es ermöglicht nun mal die individuelle Teilhabe an der Wertsteigerung im Spiele-Ökosystem durch Minten eines sich in eigenem Eigentum befindlichen digitalen Gegenstands und des verhältnismäßig einfachen, legalen und idealerweise liquiden späteren Abverkaufs.  

CT: Gewinnen Krypto- und NFT-Spiele in Deutschland auch an Popularität?

Carsten van Husen: Ja, aber verhältnismäßig langsamer – verglichen mit dem massiven Erfolg des Rollenspiels MIR-4 in Ostasien oder Axie Infinity in Südostasien.

Der deutsche Konsument ist im Durchschnitt weniger innovationsfreudig als in Ostasien oder Nordamerika, was die deutsche „Early Majority“ später folgen lässt – in Entlehnung der 5 Phasen der Technologie-Verbreitung nach Everett Rogers, aber unsere „Innovatoren“ sind schon da und die „Early Adopter“ kommen gerade. 

Der Rest wird folgen, da faire Angebote entstehen und als solche wahrnehmbar werden. Man kann natürlich viel Schindluder mit Krypto- und NFT-Spielen treiben, aber das sind anfängliche Auswüchse, die später zu seltenen Missbrauchsausnahmen werden, sobald sich die versprochenen Vorteile erwiesen haben: Faire Beteiligung von Spielern an den geschaffenen Werten und Mitbestimmung.

CT: Wie beschreiben Sie den deutschen Krypto- und NFT-Spielmarkt? Gibt es schon konkrete deutsche Spiele?

Carsten van Husen: Die allerersten Versuche sogar schon vor ein paar Jahren. Allerdings haben es bisher kaum Projekte geschafft, zu internationaler Bekanntheit aufzusteigen. Aus dem Krypto-Spielebereich kenne ich da keines. Am ehestens in angrenzenden Bereichen vielleicht Fanzone, Sammelkarten-NFTs inspiriert durch Sorare, dem schnellsten französischen Startup mit Unicorn-Status, oder Spiele-übergreifend das DAO-Projekt MetaGameHub.

Das war für deutsche Spieleentwickler aber immer schon schwierig. Deutschland hat zwar aufgrund seiner Bevölkerungszahl den größten Absatzmarkt für digitale Spiele in Europa, ist aber als Anbieter von digitalen Spielen traditionell weit hinter Frankreich und dem Vereinigten Königreich unterwegs. 

Es fehlt ein bisschen an der veröffentlichten gesellschaftlichen Begeisterung, die sich sowohl auf die Finanzierung- als auch auf die Rekrutierungssituation der Spiele-Firmen positiv auswirken würde, wie man mit einem vergleichenden Blick nach Südkorea, China, aber auch schon nur nach Frankreich eindeutig feststellen kann.

In der Zukunft wird sich das Angebot an Krypto- bzw. NFT-Spielen made in Germany aber noch stark ausweiten. Wenn die Anbieter mit langjähriger Kundenbeziehung im Gaming in den Kryptobereich eintreten, erwarte ich bessere Qualität nicht nur allein durch die reine Ausweitung des Angebots, sondern vor allem durch die Berücksichtigung von erlernten spezifischen Gamer-Präferenzen.

CT: Sind deutsche Investoren an solchen Gaming-Projekten interessiert?

Carsten van Husen: Das kann ich aus eigener Erfahrung bestätigen. Investieren in Gaming-Startups erlebt durch das Aufkommen von Krypto- und NFT-Spielen eine gewisse Renaissance. Wenn auch allerdings leider nur in „deutschen Maßstäben“, die denjenigen in Nordamerika traditionell vom Umfang her durchaus hinterherhinken. 

Fast alle deutschen Tech Fonds haben sich gegenüber dem Thema Krypto geöffnet, in Nachfolge zu spezialisierten Pionieren wie Greenfield One. Viele fangen auch wieder damit an, interessiert auf das Gaming-Segment zu schauen, wenn auch durchaus mit Vorsicht und nicht immer mit viel Vorerfahrung. 

Traditionelle VCs sind doch auch erstaunlich ausgeprägte Herdentiere – bei aller Liebe zur Innovation. So war es lange Jahre ziemlich uncool in Gaming-Startups zu investieren, da ein Markterfolg vorab häufig schwierig einzuschätzen ist und je nach Segment die Reproduzierbarkeit als gering eingeschätzt wurde. In der Zwischenzeit sind aber tolle Spiele-Firmen in Deutschland gewachsen und auch schon wieder an ausländische Eigentümer, erstaunlich viele aus Schweden, veräußert worden.

Krypto-native Investoren, wie etwa die deutsche Blockchain Founders Group, verfügen zwar nicht automatisch über Spiele-Expertise, zeigen sich aber aufgeschlossen und teilen die landläufige Einschätzung, dass Spiele ein bedeutender Fundamental-Case für die Krypto-Adoption in den nächsten Jahren sein werden. Denn gespielt wird schließlich immer, selbst wenn man sich im Krypto-Winter befindet, eine Schuldenkrise herrscht oder die Corona-Pandemie umhergeht.

CT: Die NFT-Spiele, wie auch die Kryptowährungen selbst, werden in der EU oft wegen ihres negativen Einflusses auf die Umwelt kritisiert. Es ist eine Sache, wenn es um Bitcoin & Co. oder den digitalen Euro auf Blockchain-Basis geht, schließlich sind das mögliche Zahlungsmittel für Unbanked-Länder. Für NFTs und besonders für NFT-Spiele hat man nicht so viel Verständnis, besonders angesicht der steigenden Energiepreise. Wird eine solche Haltung die Entwicklung der Krypto- und NFT-Games beeinträchtigen?

Carsten van Husen: Ich glaube nicht, dass der faktisch gegebene Zwang zur Nachhaltigkeit die Entwicklung beeinträchtigen wird. 

Da jeder Anbieter und Nutzer eines Krypto- und NFT-Games auch Bewohner dieses Planeten ist, wird bereits heute von seriösen Anbietern genau darauf geachtet, dass das Kriterium der Nachhaltigkeit seine Berücksichtigung findet. Wenn man sich dann also näher damit beschäftigt, bleibt von einer pauschalen Anschuldigung nicht viel übrig. 

Bei Krypto- und NFT-Games ist es so, dass auch alleine schon aus ökonomischem Eigennutz quasi stets Blockchain-Protokolle Anwendung finden, die wenig energieintensiv und somit auch Gas-niedrig arbeiten. Proof of Work (PoW) als Konsensmechanismus ist da natürlich raus. Delegated Proof of Stake (DPoS) ist dabei noch besser als reines Proof of Stake (PoS) – so haben sich die beiden auf EOS aufbauenden Layer-One-Netzwerke Tezos und die Wax Blockchain schon einen gewissen Namen unter Spieleanbietern gemacht. Aber auch die klassischen Ethereum-Sidechains sind diesbezüglich zukünftig eine wirkliche Alternative. 

Trotzdem glaube ich persönlich, dass die Zukunft nicht darin liegt, alles ständig in die Chain zu schreiben. Vielmehr glaube ich an eine vernünftige Kombination: all-minütliche, kleine Vorkommnisse im Spiel werden wie im Web2 auch zukünftig sinnvollerweise in proprietären Datenbanken des Spieleanbieters erfasst, wohingegen signifikante Fortschritte und Ereignisse im Spiel auf der jeweiligen Chain verankert werden. 

CT: Rheinland-Pfalz fördert als erste Landesregierung ein NFT-Videospiel. Gibt es andere derartige Initiativen seitens der Regierung? 

Carsten van Husen: Mir ist keine explizite Förderung von lediglich NFT- oder Blockchain-Games in Deutschland bekannt, allerdings sind die Medienfördergesellschaften aller Bundesländer mehr oder weniger aktiv auf dem Feld der Unterstützung von Gaming-Startups generell. 

Das klingt aber mit Verlaub vielleicht wirkmächtiger als es ist. Ich sitze mit meinem Startup Eleet Games in Baden-Württemberg und darf berichten, dass die hiesige Medien- und Filmgesellschaft (MFG) wirklich engagiert und umtriebig ist, allerdings, was die Größe der Fördermöglichkeiten anbetrifft, schlicht nicht über die Durchschlagskraft der klassischen Wagniskapitalgeber verfügt. Ein bisschen mehr als eine nur symbolische Art der gesellschaftlichen Anerkennung für Innovation und Fortschrittsentwicklung sind derartige Unterstützungen allerdings schon.

CT: NFTs, das heißt, auch NFT-Games, sind immer noch nicht direkt reguliert. Welche Wünsche hätten Sie an eine Regulierung?

Carsten van Husen: Ich würde mir wünschen, dass wir in Deutschland bzw. in der EU schnell zu einer eindeutigen Klassifizierung und in der Folge transparenten Regulierung und fairen Besteuerung von NFT-Games kommen. So würde nicht nur den wichtigen Interessen des Konsumentenschutzes und den Finanzierungsnotwendigkeiten des Staats Rechnung getragen, sondern durch Auflösung von Grauzonen überhaupt erst die Grundlage für “mass adoption” gelegt werden.

Insofern bin ich dann doch auch eher der traditionelle Branchenvertreter, der den Politikern und ihren Regulierern zurufen möchte: Bitte nehmt euch Zeit und sprecht mit uns. Wir leben auch in diesem Land und sind selbst Verbraucher in quasi allen anderen Lebensbereichen. Seriöse Anbieter unterstützen Regulierung, um den Markt zu schützen und schwarze Schafe außen vor zu halten. 

Ach ja, und eins vielleicht doch noch: Bitte macht nichts kaputt, solange ihr die Implikationen eures Handelns nicht grob vorhersehen könnt. Zugegeben ist das schwierig, insofern vielen Dank!