Die FTX-Krise hat einmal mehr bestätigt, dass man nicht blind auf eine Kryptobörse vertrauen sollte. Das gilt im Prinzip auch für andere Services, welche anbieten, Kryptoassets für ihre Kunden zu verwahren. In diesem Kontext ist es der Wahlspruch der Bitcoiner, der das aktuell herrschende Sentiment auf den Punkt bringt: „Not your keys, not your coins“.

In den letzten Monaten zogen Anleger Milliardenbeträge von Bitcoin und anderen Kryptos von Börsen wie Binance, Crypto.com und vielen anderen ab. Ein regelrechter Bank-Run, der kurzfristig sogar die Sorge aufkommen ließ, dass neben FTX auch andere Player zahlungsunfähig sein könnten. Die anfängliche Panik ist mittlerweile gewichen und die Situation hat sich beruhigt. Dennoch stellt sich die Frage nach Sinn oder Unsinn der Selbstverwahrung, denn es gibt einige prominente Fälle, in denen Anleger den Zugriff auf ihr Wallet verloren haben und in Einzelfällen Millionenbeträge unwiederbringlich verloren sind.

Mazars zieht Testat zurück

Die Wirtschaftsprüfer von Mazars haben sich am Ende nicht nur von Binance, sondern vom gesamten Krypto-Sektor getrennt. Der Schritt verrät uns zwar nicht, wie es um die Finanzen der Börsen steht, aber wir können zumindest vermuten, dass man den Kryptomarkt als heißes Pflaster ansieht und meiden möchte.

Erstaunlicherweise testierte Mazars für Binance lediglich, dass die Bitcoin-Reserve vorhanden war. Also genau das, was sich vermeintlich jeder Anleger wünscht. Allerdings ist der „Proof of Reserve“ insofern Augenwischerei, als dass er nur die Information enthält, ob die Wallets auch hinreichend gefüllt sind.

Was ist jedoch mit den Ausständen der Börse? Wem schuldet Binance Geld und wenn, in welcher Höhe? Über diese Zahlen gibt es keine brauchbaren Angaben und es ist absehbar, dass die Kryptobranche die Bekanntgabe solcher Unternehmensdaten auch in Zukunft meiden wird. Wenn es umfangreichere Testate gibt, dann werden diese ebenfalls privat in Auftrag gegeben und aus eigener Tasche bezahlt. Eine tiefere und kritische Betriebsprüfung ist jedoch nicht der Gegenstand dieser Testate, die man nicht mit vollumfänglichen Audits verwechseln darf.

Eigentlich gibt dies Grund genug zur Annahme, dass Bitcoin und Co. nur im eigenen Wallet verwahrt werden sollten.

Selbstverwahrung ist nicht für jedermann

Die Probleme sind vielfältig, wenn es um das Thema Selbstverwahrung geht. Zum einen fehlt es vielen Wallet-Lösungen an einem benutzerfreundlichen Design. Was für Tech-begeisterte Nutzer selbstverständlich anmuten mag, kann für einen absoluten Laien und Neueinsteiger mehr als verwirrend sein. Das betrifft in Hinblick auf das Design nicht nur die Menüführung, sondern auch technische Aspekte. Die meisten Anwender sind es gewohnt, dass sie Kundenkonten per E-Mail und Passwort wiederherstellen können.

Selbstverwahrung von Kryptowährungen verlangt aber viel mehr Sorgfalt. So müssen etwa Backups konsequent angelegt und vorgehalten werden. Doch was ist ein Seed und wie sichert man ein im Klartext vorliegendes Geheimnis sinnvoll ab? Ebenfalls kritisch ist der Aspekt der Vererbung. Was, wenn dem Eigentümer etwas zustößt?

Anhand dieser Fragen wird der zweite Mangel deutlich: Bildung. Die sichere Handhabung von Kryptowährungen verlangt Wissen aus unterschiedlichen Bereichen, welches so sehr gefestigt sein muss, dass der Anwender keine Fehler macht. Da jeder Fehler potenziell fatal sein kann, ist es also schwierig, wenn nicht sogar unmöglich pauschal zu behaupten, dass Selbstverwahrung immer die bessere Lösung ist. Zwar ist es richtig, dass die Verantwortlichkeit am Ende beim Nutzer liegt, aber viele Anwender von Kryptowährungen können oder wollen diese Verantwortung gar nicht tragen.

Europa stellt sich quer

Zu allem Überfluss geht der politische Trend in Europa in eine ganz andere Richtung. Selbstverwahrung und Peer-to-Peer-Transaktionen steht man kritisch bis ablehnend gegenüber. Dass die Regulatoren damit in eine Situation steuern, in der sie sich gegen das revolutionäre Potenzial von Kryptowährungen stemmen, ist in diesem Kontext sicher auch ein Problem. 

Damit droht die Frage nach der Selbstverwahrung am Ende nicht durch den Markt beantwortet zu werden, sondern durch die Bürokratie. Zumindest, wenn es um Anleger in Europa und damit in Deutschland geht. Wenn sich diese Perspektive durchsetzt, dann müssen Anleger am Ende auf Institutionen vertrauen, die in den letzten Jahren alles daran gesetzt haben, sämtlichen regulatorischen Auflagen zu entgehen. Zugegebenermaßen hat es in dieser Hinsicht in den letzten Jahren eine Kehrtwende gegeben, denn immer mehr Börsen setzen auf volle Compliance mit den Gesetzen in den Ländern, in denen sie am Markt aktiv sind. 

Aber gerade die Bereitschaft, Auflagen zu erfüllen, ist kein Garant für die Zuverlässigkeit eines Akteurs. FTX war nämlich reguliert und Ex-CEO Sam Bankman-Fried stand in Kontakt mit Spitzenfunktionären, Top-Politikern und Behörden. Doch wie entgeht man aus der scheinbaren Sackgasse, den Börsen ebenso wenig vertrauen zu können wie den IT-Kenntnissen der Anwender?

Gier kann nicht behoben werden

Mit den Schuldeingeständnissen von Caroline Elisson und Gary Wang dringen immer mehr Details zu dem Fall von FTX und Alameda Research an die Öffentlichkeit. Zwar hat der Hauptbeschuldigte Sam Bankman-Fried auf nicht schuldig plädiert, aber der Beginn seines Gerichtsverfahrens steht erst im kommenden Oktober an.

Auf den Ausgang der strafrechtlichen Aufarbeitung muss man im Wesentlichen gar nicht näher eingehen, denn die wichtigste Lektion in Bezug auf die Selbstverwahrung lässt sich bereits aus dem laufenden Geschehen extrahieren. SBF und seine Mitangeklagten hatten ein gut laufendes Multi-Milliarden-Geschäft und führten ein Jetset-Leben. Trotzdem veruntreuten sie mutmaßlich schwindelerregende Summen, welche Investoren und Kunden im guten Glauben überwiesen hatten. Der FTX-Skandal ist der lebendige Beweis, dass die Gier schlicht keine Grenzen kennt und sich deshalb auch in Zukunft nicht beheben lassen wird. 

Genau das ist der zentrale Gedanke von Bitcoin (BTC) und im Kern auch vieler anderer Kryptowährungen, die danach folgten. In der Selbstverwahrung liegt der Schlüssel, den größten Vorzug von Kryptowährungen nutzen zu können. Es ist kein Vertrauen mehr in dritte Parteien notwendig, sondern nur noch in ein transparentes Protokoll, welches anders als viele Kryptobörsen von jedermann auditiert werden kann. Es ist das gute Mittel gegen die unersättliche Gier mancher Menschen und ein Schutzschild, welches finanzielle Inklusion von bisher unerreichtem Ausmaß bedeutet. 

Die Bildungslücken in Bezug auf Selbstverwahrung können Anwender in Eigeninitiative selber schließen und Wallet-Software lässt sich dort, wo sie sich nicht an der Usability orientiert, verbessern. Bei der Frage nach Selbstverwahrung gibt es nur scheinbar eine Wahl. Bildungslücken in Bezug auf die Anwendung von Blockchain-Technologie können geschlossen werden. Die Gier des Menschen lässt sich hingegen nicht stillen. Hoffentlich nehmen sich das nicht nur Anleger und Entwickler, sondern auch Politiker in Zukunft zu Herzen, wenn sie nach Lösungen suchen, den Kryptomarkt besser zu regulieren.

Bruno Krauß ist der CTO und Geschäftsführer von ReWallet, einem Berliner Unternehmen, welches sich auf die Wiederherstellung von Krypto Wallets spezialisiert hat. In seiner Funktion ist er für die technische Umsetzung der Wallet-Wiederherstellung zuständig. Neben seiner beruflichen Tätigkeit publiziert er regelmäßig Beiträge, die Anlegern und Nutzern von Kryptowährungen dabei helfen sollen, einen sicheren Umgang mit der Technologie zu erlernen.

Dieser Artikel dient der allgemeinen Information und stellt weder eine Rechtsberatung noch eine Investitionsberatung dar. Die Ansichten, Gedanken und Meinungen, die hier geäußert werden, sind allein die des Autors und spiegeln nicht unbedingt die Ansichten und Meinungen von Cointelegraph wider.