Der Blockchain-Technologie wird in der Schweiz eine große Zukunft vorhergesagt. Was dies für den Arbeitsmarkt bedeutet, was die Schweizer Regierung über diese Technologie denkt und was die Blockchain für ihre Akzeptanz in der Bevölkerung braucht - darüber hat “Cointelegraph auf Deutsch” mit dem Blockchain-Experten Dr. Daniel Diemers auf der BlockShow in Berlin diskutiert.
Als Unternehmer war Dr. Daniel Diemers über mehrere Jahre im Bereich internetbasierte Frühwarnsysteme tätig. Seit 2005 ist er Partner bei PwC Strategy&, wo er Banken und Regulierungsbehörden in Europa und dem Nahen Osten zum Thema Digitalisierung, Fintech und Blockchain berät. Außerdem ist Dr. Daniel Diemers Mitgründer und Vorstandsmitglied der Swiss Finance + Technology Association (Swiss Fintech) und selbst Fintech-Investor, der eng mit der internationalen Fintech- und Krypto-Community verbunden ist.
Cointelegraph auf Deutsch: Wann haben Sie eigentlich zum ersten Mal von Bitcoins gehört?
Dr. Daniel Diemers: Das war eine lustige Geschichte. Ich habe vor drei-vier Jahren im Nahen Osten gelebt und hatte da einen Kunden, den ich beraten hatte. Und der hat ein Angebot aus den USA bekommen, in Bitcoins zu investieren. Das war 2011 und das war das erste Mal, dass ich davon gehört habe.
CT: Bereits Mitte Mai gab es Meldungen, dass PwC's Strategy& sich mit der Blockchain in Logistik auseinandersetzt. Wie arbeitet Ihr Unternehmen noch mit der neuen Technologie?
DD: Wir haben ein eigenes Team für Blockchain, es ist global. Ich bin zum Beispiel Leiter der Blockchain-Abteilung in Europa und den Nahen Osten. Wir haben viele Mitarbeiter, die sich mit dem Thema gut auskennen, und wir arbeiten nicht nur am Blockchain-Einsatz in der Logistik, sondern implementieren die Blockchain auch im Banking- und Landwirtschaftssektor. Ich bin Stratege, ich muss ganz verschiedene Fragen in Bezug auf Blockchain klären: Coding, Protokoll, Cybersicherheit, Steuer, Accounting und wie sich die Blockchain in diese Sphäre einsetzen lässt.
Über Einsatz der Blockchain und deren Auswirkungen auf Arbeitsmarkt
CT: In welchen Bereichen sehen Sie einen großen Bedarf an Blockchain-Technologie?
DD: Das ist eine sehr gute Frage. Wir reden viel über Banking, Versicherung und ICOs, auch über Finanzdienstleistungen. Hier sehe ich einen besonders großen Bedarf an dieser Technologie. Wenn man aber rein statistisch anschaut, wie sich die Blockchain entwickeln wird und wo sie eingesetzt wird, sieht man sehr viele Dienstleistungen und Anwendungen außerhalb der Finanzwelt. Zum Beispiel Energiewirtschaft, Landwirtschaft, Gesundheitswesen aber auch Logistik, Internet of Things (IoT). Wir erwarten, dass die Blockchain in 80 Prozent der Industrie verwendet wird. Verwaltung, Abstimmungen, Banking, Versicherung - das sind die ersten Schritte.
CT: Viele Politiker und Leiter der größten Finanzinstitute äußern sich kritisch gegenüber Kryptowährungen, aber positiv über Blockchain-Technologie. Bei der Commerzbank gibt es wohl bereits ein „DLT Lab“… Was denken Sie, warum ist das so?
DD: Das war allerdings letztes Jahr noch so, ich glaube, langsam ändern sich die Meinungen auch. Es gibt jetzt immer mehr Banken, die sich auch mit Kryptowährungen beschäftigen, die dort erste Projekte machen. Es gibt auch schon die ersten Banken, die Kryptowährungen als Zahlungsmittel akzeptieren. Ich bin mir sicher, wir sind da jetzt in einem sehr spannenden Prozess, wo auch die ganze Finanzleistungsindustrie, Banken und Versicherungen sich mit Kryptowährungen beschäftigen werden.
CT: Haben Sie keine Angst, dass die Blockchain viele Jobs in der Finanzwelt ersetzen kann?
DD: Diese Angst verstehe ich noch nicht. Bei der Diskussion geht es meistens um Künstliche Intelligenz und Robotik. Die Blockchain kann natürlich eine ähnliche Auswirkung haben, weil das einfach wirklich Produktivität effizient steigern kann. Manche Sachen, die ich früher machen musste, wie zum Beispiel verschieden Datensysteme zusammenbringen, muss ich mit Hilfe der Blockchain vielleicht nicht mehr tun. Aber ich habe nicht das Gefühl, dass die Blockchain ein sogenannter Job-Killer ist, aber wenn wir diese Technologie zusammen mit der Künstlichen Intelligenz betrachten, dann ja. Dann könnten viele Jobs verschwinden.
CT: Das heißt, die Blockchain und Künstliche Intelligenz könnten Sie ersetzen?
DD: Ich würde hier nachdenken. Ich will nicht denken, dass diese beide Technologien und Roboter mich ersetzen können - und empfehle niemanden, so zu denken. Ich glaube, es wird schon sehr spannend in den nächsten fünf bis zehn Jahren, und wir müssen damit rechnen, dass viele Veränderungen kommen. Man muss keine Angst vor solchen Veränderungen haben - und wenn Menschen sich ein bisschen fürchten, ist das einfach eine menschliche Reaktion auf etwas Neues. Ja, ich höre von Kryptowährungen zum ersten Mal, dann gefallen sie mir nicht, Bitcoin ist nicht gut. Aber bald ändert sich das. Jetzt kommt die nächste Generation, junge Leute, die mit Smartphones aufwachsen. Sie sagen: Meine Bank ist mein Smartphone. Sie sehen sogar keine Plastikkarten - sie shoppen online. Und sie finden Kryptowährungen ganz normal oder sogar cool.
Über “Crypto Valley” und E-Franken
CT: Wie beliebt ist Krypto in der Schweiz? Wann ungefähr werden Schweizer Kryptowährungen als Zahlungsmittel im Alltag benutzen?
DD: “Crypto Valley” in der Schweiz existiert noch nicht lange - seit weniger als zwei Jahren, aber es ist enorm gewachsen. Vor zwei oder drei Jahren waren es vielleicht noch 10-15 Firmen, heute sind es rund 300-400 Unternehmen, die bereits in der Schweizer "Crypto Valley" eine Niederlassung haben - und alle sind aus dem Krypto-Bereich: ICOs, Blockchain-Start-ups… Die Schweizer Bevölkerung nimmt diese Entwicklungen auch wahr, weil Medien darüber viel berichten, man liest und spricht darüber. Die Schweizer Regierung setzt sich auch intensiv mit dem Thema auseinander.
Der Schweizer Bundesrat hat eine Blockchain-Taskforce gegründet, um deren Akzeptanz im Land zu fördern. Ich durfte dort auch einen Sitz haben, das war so spannend, weil wir 35-40 Experten aus der ganzen Schweiz waren, aus verschiedenen Bereichen und mit verschiedenen Erfahrungen - wir haben uns zusammen Fragen überlegt, wofür unsere Bürgerinnen und Bürger sich interessieren, was positiv und negativ ist, was der Staat noch machen muss und ja, ob der Staat überhaupt etwas machen muss.
Ich glaube, in der meisten europäischen Ländern - im Vergleich mit der Schweiz - hat sich die breite Bevölkerung noch nicht mit Krypto und Blockchain auseinandergesetzt. Wenn wir hier in Berlin auf die Straße gehen und einfach 10 Menschen zufällig auswählen und zu Blockchain, ICOs und Kryptowährungen befragen würden, würden wir sehen, dass sie sich mit dem Thema schlecht auskennen. Für die Akzeptanz neuer Technologien braucht man mehr Aufklärung.
CT: Die Schweiz will auch eine eigene staatliche Kryptowährung entwickeln. Denken Sie, das ist eine gute Idee?
DD: Zur Korrektur: das ist noch nicht entschieden. Wir haben eine sehr dezentrale und demokratische Governance in der Schweiz, alle neuen Ideen werden begrüßt und besprochen. Wir diskutieren gerade im Parlament, ob wir eine nationale Kryptowährung - E-Frank oder Krypto-Frank - möchten. Es gibt auch verschiedene Menschen aus der Krypto-Community, die sich damit auseinandersetzen, die uns erste Ideen geben - und wir diskutieren alle zusammen darüber. Das finde ich in der Schweiz sehr gut.
Ich finde diese Idee nicht schlecht. Wenn ich reise, benutze ich in anderen Ländern lokale Währungen. In einigen Städten benutze ich Bitcoin und andere Kryptowährungen. Warum sollte ich dann nicht eine Kryptowährung benutzen, vielleicht von der Schweizer Regierung, die gesetzlich von der Regierung und der Schweizerischen Nationalbank gestützt wird?
CT: Und was halten Sie von den ICO-Regeln von FINMA? Sorgen sie wirklich für mehr Klarheit?
DD: Ja, unbedingt. Die Regierung, Anleger und selbst Unternehmer, die ICOs bei uns durchführen wollen, brauchen eine gewisse regulatorische Sicherheit. Niemand will sein Geld in einen ICO investieren, es nach sechs Monaten vollständig verlieren, und das Gericht weiß nicht, wie es solche Betrügereien nach existierenden Gesetzen beurteilen soll. Eine gesunde Regulierung ist notwendig - die Schweizer Investoren sehen diese FINMA-Regeln als sehr wichtig an. In Asien sieht das anders aus - manche Länder wollen nicht mit ICOs arbeiten, deswegen verbieten sie diese einfach.
Über drei Dinge, die Blockchain braucht
CT: Sie haben erwähnt, dass Medien in der Schweiz positiv über Blockchain und Kryptowährungen berichten. Was denken Sie - überschätzen viele Menschen - aufgrund solch einer intensiven Berichterstattung - ihr Wissen über Chancen und Risiken von Kryptowährungen als Geldanlage?
DD: Ja, das denke ich. Erstens braucht man sehr guten Journalismus und Journalisten, die tief auf die Sachen eingehen und nicht so oberflächliche Themen herumwerfen. Zweitens braucht man auch eine gute vernünftige Regulierung, die gewisse Schutzmaßnahmen bietet, über Risiken aufklärt. Man sollte nicht nur sagen, dass das und das schlecht und spekulativ ist, sondern auch beraten, wie man in welche Währungen am Besten investiert. Und drittens braucht man auch mehr Aufklärung und Bildung: Kinder müssten schon in der Schule lernen, was die Blockchain ist und welche Vorteile bzw. Nachteile die Technologie hat. Es gibt einen Mangel an Bildungsangeboten für Erwachsene und es gibt nur wenige Menschen, die das Thema vermitteln können. Ich glaube, es steht eine große Herausforderung vor uns, und alle Lehrer und Lehrerinnen müssen überlegen, wie man gut erklären kann, was die Blockchain und Kryptowährungen sind und wie man damit vernünftig umgeht.
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