Cointelegraph auf Deutsch stellt den wichtigsten Köpfen aus der DACH-Region sechs Fragen über die Krypto- und Blockchain-Branche und weicht zwischendurch vom Thema ab.

In dieser Woche gehen unsere Fragen an Mauro Casellini, den CEO der Bitcoin Suisse (Liechtenstein) AG und Leiter von Bitcoin Suisse Europe, wo er für das europäische Geschäft der Firma verantwortlich ist. Bevor Casellini zur Bitcoin Suisse kam, arbeitete er als Leiter der Blockchain and Payment Service Providers bei der liechtensteinischen Bank Frick. Zudem ist Casellini als Vorstandsmitglied der Crypto Country Association (CCA) in Liechtenstein tätig, der offiziellen Vertretung der Blockchain-Industrie gegenüber Regierung, Regulatoren und Unternehmen.

Cointelegraph auf Deutsch: Wie und wann kamen Sie zum ersten Mal auf das Thema Kryptowährungen?

Mauro Casellini: Das erste Mal kam ich mit Bitcoin (BTC) im Jahr 2012 während meines Studiums der Betriebsökonomie in Kontakt. Einer meiner Professoren hat uns dabei Blockchain-Technologie nahegebracht, eine Bitcoin-Transaktion durchgeführt und uns erklärt, weshalb das revolutionär ist und die Finanzwelt nachhaltig verändern wird. Leider habe ich dies damals als technische Spielerei abgetan, mich damit nicht weiter beschäftigt und das Thema für etwa drei Jahre aus den Augen verloren. 

Im Jahr 2015 kam ich durch diverse Kundenanfragen bei der Bank Frick, meinem damaligen Arbeitgeber, erneut mit dem Thema in Kontakt und habe mich schon intensiv damit beschäftigt. Dabei bin ich schnell im “Rabbit Hole” gelandet, habe mehr und mehr über die Blockchain-Technologie gelesen und mich mit den Anwendungsmöglichkeiten und einzelnen Kryptowährungen auseinandergesetzt. Je größer mein Knowhow in diesem Bereich wurde, desto überzeugter wurde ich, und entsprechend setzte ich mich bei meinem damaligen Arbeitgeber aktiv dafür ein, dass wir ein Angebot im Krypto-Bereich einführen. Das hat dank der Unterstützung von meinem Team und dem Support des CEOs und Verwaltungsrats dann auch geklappt und uns die Möglichkeit gegeben, als eine der ersten Banken in Europa ein Blockchain-Angebot zu implementieren. 

Bis heute sind wir uns alle nicht im Klaren, was alles mit Blockchain-Technologie möglich sein wird. Hier finde ich immer Parallelen mit der Welt des Internets und der Blockchain-Technologie spannend. Im Vergleich zum Internet befinden wir uns in der Blockchain-Welt heute im Jahr 1998, dem Gründungsjahr von Google. Diese Erkenntnis zeigt mir, dass wir noch in den Kinderschuhen stecken und dass in der nahen Zukunft noch alles passieren bzw. sich verändern kann.

CT: Was waren Ihre wichtigsten (Arbeits-)Erlebnisse der letzten drei Jahre?

Mauro Casellini: Die letzten drei Jahre in der Blockchain-Industrie waren spannend und es gab in positiver und negativer Hinsicht viele erwähnenswerte Ereignisse. Natürlich könnte ich hier über den Kollaps von Terra (LUNA) oder den Untergang von FTX sprechen, ich möchte mich aber bewusst auf positive Ereignisse fokussieren. 

Ein beeindruckendes und viel besprochenes Ereignis war, als El Salvador im September 2021 Bitcoin als gesetzliches Zahlungsmittel einführte. Neben dem US-Dollar kann seit dem Zeitpunkt offiziell überall im Land mit Bitcoin bezahlt werden. Weitere Länder, wie Zentralafrika, folgten bereits und es sind weitere daran, Bitcoin als offizielles Zahlungsmittel einzuführen. 

Als ein weiteres wichtiges Ereignis sehe ich den Ethereum-Merge vom September 2022. Seit diesem Datum läuft die Ethereum-Blockchain erfolgreich basierend auf dem Proof-of-Stake-Algorithmus (PoS), und ein weiterer wichtiger Meilenstein in Richtung Sharding, der Grundtechnologie für eine höhere Skalierung auf der Ethereum-Blockchain, wurde erreicht. Wie verrückt dieses Ereignis ist, zeigt der passende Vergleich der Ethereum Foundation, welche diesen Übergang von Proof of Work (PoW) auf PoS als ein Raumschiff beschreibt, welches mitten im Flug das alte Triebwerk gegen ein neues austauscht. 

Nicht ein direktes Ereignis, aber eine Bewegung ist die Akzeptanz von Kryptowährungen von institutionellen Finanzmarktteilnehmern. Viele große Finanzdienstleister haben eigene Investments in Kryptowährungen, neue Angebote für Endkunden und Partnerschaften mit Blockchain-Providern initiiert oder bekanntgegeben. Als eines von vielen möglichen Beispielen kann man hier BlackRock nennen, die im August 2022 eine offizielle Partnerschaft mit Coinbase verkündete. Je mehr große Player aus der traditionellen Finanzwelt den Mehrwert von Bitcoin und Blockchain entdecken, desto breiter wird die Akzeptanz und vor allem auch der Nutzen im Markt sein. 

CT: Was wird mit Bitcoin und Ethereum in den nächsten 10 Jahren passieren?

Mauro Casellini: Bitcoin wird sich als sicheres Wertaufbewahrungsmittel, also als “Store of Value”, vergleichbar mit der heutigen Funktion von Gold, durchsetzen. Bitcoin verfügt über viele Eigenschaften, die eine solche Entwicklung bereits heute begründen würden, aufgrund der doch noch jungen Geschichte mit dem Genesis Block im Jahr 2009 ist aber noch zu wenig Zeit vergangen und zu wenig breite Akzeptanz vorhanden. Um ein paar dieser Eigenschaften zu nennen, Bitcoin ist problemlos übertragbar, kann jederzeit auf Echtheit verifiziert werden und ist in einer nahezu unbeschränkten Art teilbar. 

Durch die rasante Beschleunigung im Bereich der Digitalisierung und dem Aufkommen von digitalen Zentralbankwährungen (CBDC) wird der Bedarf nach einer komplett dezentralen und neutralen Lösung, dem Bitcoin aber auch weiteren Kryptowährungen, sehr groß sein. 

Ethereum wird sich seinerseits als eine der wichtigsten Infrastrukturen für Web3.0 durchsetzen. Ethereum ist heute die am meisten genutzte Infrastruktur-Blockchain und aufgrund der Roadmap sehe ich auch keinen Grund, warum dies nicht so bleiben sollte. Der bereits erwähnte Merge war einer von vielen Schritten und gerade in Kombination mit sogenannten Second-Layer-Infrastrukturen, wie Polygon oder Skale, sind bereits heute hoch skalierbare Lösungen auf Ethereum erfolgreich in Betrieb. Immer mehr Industrien verwenden die Blockchain als Basis-Layer für ihre Anwendungsfälle und viele davon bauen bereits heute auf Ethereum oder einem Second-Layer auf. 

Natürlich wird es neben Ethereum auch andere Projekte, wie etwa Polkadot oder Tezos, geben, die sich als Infrastruktur-Blockchain zu etablieren versuchen. Daher ist hier ein enges Zusammenspiel und kein Konkurrenzdenken für den Erfolg der Blockchain-Technologie nötig. Interoperabilität ist hier für mich ein wichtiger Begriff, denn nur wenn ein „barrierefreier“ Übergang von einer auf die andere Blockchain funktioniert, kann sich diese Technologie auch nachhaltig durchsetzen.

CT: Was ist die größte Hürde auf dem Weg zu einer breiten Akzeptanz von Kryptowährungen in Europa (vor allem in der Schweiz und Liechtenstein)?

Mauro Casellini: Die größte Hürde beinhaltet gleich eine Lösung – effektive Regulierung. Die Schweiz und Liechtenstein sind beide im Bereich der Regulierung bereits heute federführend, Regulierung muss aber in einem größeren Kontext und vor allem einem größeren regionalen Rahmen verstanden werden. Die Schweiz selbst ist zu klein, um hier zu einer großen Akzeptanz im Gesamtmarkt führen zu können. Liechtenstein befindet sich im Europäischen Wirtschaftsraum und muss sich daher an europäische Regulierungen halten. 

Die Europäische Kommission hat hierzu im September 2020 den ersten Draft einer “Markets in Crypto Assets”-Regulierung  (MiCA) veröffentlicht. Aktuell kann davon ausgegangen werden, dass im Frühjahr 2023 die Regulierung in Kraft tritt und 18 Monate danach, also im Herbst 2024, zur Anwendung kommt. Dieses Gesetz wird allen europäisch regulierten Teilnehmern die Möglichkeit geben, ihre Dienstleistungen in ganz Europa zu vertreiben. Durch eine klare Regulierung wird der ganzen Blockchain-Industrie mehr Gewicht und Legitimität zugesprochen und ermöglicht gerade vielen institutionellen Marktteilnehmern, sich dem Thema intensiver zu widmen. Auch wenn die Schweiz selbst nicht im Europäischen Wirtschaftsraum bzw. der Europäischen Union ist, wird sich diese Gesetzgebung auch auf die Schweiz positiv auswirken und zu einer breiteren Akzeptanz führen. Ohnehin sind die Schweiz und Liechtenstein aktuell bestens positioniert und einige der größten und erfolgreichsten Projekte – Ethereum, Polkadot, Tezos oder Near – haben eines der beiden Länder als Standort gewählt.

CT: Glauben Sie, dass DeFi die Zukunft des Finanzwesens ist?

Mauro Casellini: Für mich ist klar, dass DeFi ein wichtiger Teil des künftigen Finanzwesens sein wird. Dank der Blockchain-Technologie können wir Prozesse optimieren, Risiken reduzieren und unnötige Intermediäre aus bestehenden Prozessen streichen. Je mehr Parteien in einem Prozess involviert sind, desto größer ist das Risiko für Fehler und Probleme bei einem Ausfall eines Beteiligten. 

Für mich ist aber wichtig zu erwähnen, dass ich nicht davon überzeugt bin, dass die CeFi-Welt komplett verschwinden wird. Für viele Parteien ist es wichtig, dass sie mit einer Gegenpartei, zum Beispiel einer Bank, interagieren können. Sie wollen einen Partner, dem sie vollständig vertrauen. Viele Endkunden werden nie dazu bereit sein, ihre Vermögenswerte in Tokenform selbst zu verwahren oder direkt mit einer Blockchain zu interagieren. 

Dafür wird es regulierte Finanzintermediäre geben, welche für den Endkunden Token verwahren, Kredite über ein dezentrales Protokoll beziehen, Handel von tokenisierten Finanzinstrumenten durchführen oder den Staking-Validator betreiben werden. 

Es wird ein Zusammenspiel von DeFi und CeFi sein und Endkunden haben die Wahl zu entscheiden, wie sie mit ihren digitalen Vermögenswerten interagieren wollen. Dies wird entsprechend zu einer größeren Freiheit der Endkunden führen, was ich unterstütze und mit Begeisterung mitverfolge. 

CT: Welche Superkräfte hätten Sie am liebsten, und wofür würden Sie diese einsetzen?

Mauro Casellini: Gemäß Zahlen der Weltbank sind 2,8 Milliarden Menschen der Welt „underbanked“. Das heißt, dass sie über kein Bankkonto oder nur sehr eingeschränkten Zugang zur Finanzwelt verfügen. Daher würde ich mit meiner Superkraft allen Menschen auf dieser Welt Zugang zum Internet und einem Smartphone ermöglichen. 

Mit dieser Grundlage könnte der erste große Baustein einer faireren Welt im Bereich des Finanzwesens geschaffen werden. Personen könnten unabhängiger miteinander interagieren, nahezu kostenlos Geld an Familie und Freunde in anderen Ländern senden und das alles ohne unnötige Involvierung überteuerter und langsamer Intermediäre wie die bekannten Money-Transfer-Anbieter. Menschen haben so die Möglichkeit, aus ihrer eigenen, mit hoher Inflation geplagten lokalen Währung zu fliehen, und können sich das erste Mal im Leben finanziell absichern. 

Die Blockchain-Technologie ist ein wichtiger Baustein, welcher zu mehr finanzieller Freiheit führen wird. Blockchain kann unter anderem dazu beitragen, besser funktionierende Volkswirtschaften in Ländern mit mangelhafter Finanzmarktinfrastruktur aufzubauen oder die Auswanderung in ein besseres Leben zu erleichtern. Deshalb bin ich davon überzeugt, dass eine größere Akzeptanz und Nutzung von Kryptowährungen über die Zeit die wirtschaftliche Freiheit von Individuen in der Welt, ganz ohne Superkräfte, erhöhen wird.