Prof. Dr. Fabian Schär, Leiter der Forschungsstelle Center for Innovative Finance (CIF) an der Universität Basel, im Gespräch mit Cointelegraph über Bitcoin, Blockchain und grundsätzlichen Aspekte zur Dezentralisierung.

Tragweite und Potential der Blockchain-Technologie

Cointelegraph auf Deutsch: Sie forschen an der Universität Basel zum Thema Blockchain. Können Sie in wenigen Sätzen erläutern, was Sie daran so interessiert?

Fabian Schär: Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit besteht die Möglichkeit, eine globale Datenbank gemeinschaftlich zu führen, ohne dass eine zentrale Instanz, wie beispielsweise eine Bank, exklusive Buchführungsrechte besitzt. Das hat weitreichende Konsequenzen und birgt ein enormes Potential.

Zudem begeistert mich die hohe Dynamik, Praxisrelevanz und Interdisziplinarität des Themas. Es gibt wenige Gebiete, bei denen die Forschungsfront so dynamisch und von unmittelbarem gesellschaftlichem Interesse ist. Dies erlaubt es mir, auch als Wissenschaftler in einem engen Austausch mit der Praxis zu stehen.

CT:  Gibt es konkrete Praxisprojekte, die Sie hervorheben möchten?

Fabian Schär: Ich möchte davon absehen konkrete Projekte oder Firmen nennen. Ganz allgemein beobachte ich derzeit aber, dass die Technologie für alle möglichen Projekte eingesetzt wird – wobei die Anwendung der neuen Technologie leider nicht in jedem Fall Sinn macht. Die Blockchain ist keine Allzweckwaffe.

Ganz grundsätzlich lässt sich meiner Meinung nach festhalten, dass die Breite der Anwendbarkeit von Blockchains häufig überschätzt wird. Zugleich wird aber der Einfluss auf jene Bereiche unterschätzt, in welchen sich die Technologie erfolgreich einsetzen lässt.

CT: Warum wird die Technologie genau unterschätzt?

Fabian Schär: Weil in Mitteleuropa zentralisierte Systeme oft sehr gut funktionieren. Unter diesen Voraussetzungen ist es sehr schwierig, jemandem von den Vorzügen der Dezentralität zu überzeugen. Dies führt dazu, dass öffentliche Blockchains direkt mit zentralisierten Systemen verglichen werden – beispielsweise anhand der Transaktionszahlen. Ein solcher Vergleich ist aber meiner Meinung nach falsch. Bildlich gesprochen könnte man genauso gut die Geschwindigkeit des politischen Prozesses in einer Monarchie und einer direkten Demokratie vergleichen. Eine Monarchie ist logischerweise deutlich effizienter, birgt aber auch gewisse Gefahren – konkret das Missbrauchsrisiko und die Systemrelevanz einer einzelnen Person.

Forschungsprojekte der Uni Basel

CT: Das Center for Innovative Finance hat schon Zertifikate auf der Ethereum Blockchain besichert, allerdings nur für einen Kurs, stimmt das?

Fabian Schär: Ja, in einem gemeinsamen Projekt mit dem Zürcher Blockchain-Startup-Unternehmen „BlockFactory“ („Proxeus“) wurden Kurszertifikate auf der Ethereum-Blockchain ausgestellt. Wir haben das System vor knapp einem Jahr im Rahmen eines Tests für ca. 270 Kursteilnehmer der Vorlesung “Bitcoin, Blockchain und Kryptoassets" angewendet. Im letzten Semester wurde das Projekt dann auf drei weitere Vorlesungen ausgedehnt. Im aktuellen Semester wird es nun zum ersten Mal auch für Vorlesungen genutzt, die inhaltlich nicht mit Blockchain in Verbindung stehen. Zudem ist es uns gemeinsam mit „BlockFactory“ gelungen, einige weitere Hochschulen für das Projekt zu gewinnen, und wir hoffen natürlich, dass sich diese Blockchain-Diplome als Standard durchsetzen werden.  

CT: Die Frankfurt School of Finance & Management vergibt ebenfalls Blockchain besicherte Zertifikate für eine Blockchain Lehrveranstaltung...

Fabian Schär: Korrekt. Ich schätze Philipp Sandner (Leiter des Frankfurt School Blockchain Center (FSBC) an der Frankfurt School of Finance & Management - CT) sehr und stehe auch in einem guten Austausch mit ihm. Es ist wichtig für die Blockchain-Szene, dass die Akademie breit abgestützt ist. Insofern sehe ich Frankfurt als eine große Bereicherung. Selbstverständlich habe ich auch mitbekommen, dass dort ein ähnliches Projekt lanciert wurde – nach uns, versteht sich (lacht).

Der große Unterschied zwischen den Projekten liegt in der konkreten Handhabung. Wir haben beispielsweise bewusst auf die Notwendigkeit einer Wallet verzichtet, da wir es als unrealistisch erachten, dass jeder Student über eine Wallet verfügt und auch noch in 20 Jahren Zugriff darauf hat. Bei unserem Projekt müssen die Studierenden ausschließlich das Diplom aufbewahren.

CT: Welche Forschung betreibt das CIF sonst noch, können Sie da Einblicke geben?

Fabian Schär: Ich habe gemeinsam mit meinem Kollegen Aleksander Berentsen das Buch “Bitcoin, Blockchain und Kryptoassets” veröffentlicht. Das Buch hat sich zum Standardwerk im deutschsprachigen Raum etabliert und deckt die Grundlagen der Ökonomie, Kryptographie und Informatik ab. Es war über ein halbes Jahr das bestverkaufte deutschsprachige Ökonomie Buch auf Amazon. Momentan arbeiten wir an der englischen Übersetzung.

Zudem haben wir diverse wissenschaftliche Artikel verfasst, die im “Federal Reserve Bank of St. Louis Review”, also dem Journal der amerikanischen Zentralbank, publiziert wurden. Nebst Stablecoins und Zentralbankenkryptowährungen liegen die Forschungsschwerpunkte derzeit auf Zahlungskanälen und der Tokenisierung von Assets, sowie Pricing Modellen von nicht-fungiblen Tokens.

Weiter werden wir in diesem Jahr gemeinsam mit der Schweizerischen Nationalbank eine Research-Konferenz organisieren und am 23. Mai die zweite Ausgabe des Blockchain-Symposiums durchführen. Im letzten Jahr hatten wir über 600 Gäste und eine unglaublich positive Resonanz.

CT: Und wie sieht es in der Lehre aus?

Fabian Schär: Da ich überzeugt bin, dass sich dieses Thema nicht eindimensional durchdringen lässt, lege ich hohen Wert auf die Interdisziplinarität. Insofern sind meine Lehrveranstaltungen jeweils irgendwo an der Schnittstelle zwischen Ökonomie und Informatik angesiedelt. Aktuell biete ich zwei Vorlesungen und drei Seminare zum Thema Blockchain an. Zudem gibt es mit der Blockchain-Challenge eine Art Hackathon, der ein ganzes Semester andauert. Die Studierenden erhalten anfänglich eine konkrete Fragestellung von Unternehmen und müssen diese dann konzeptionell erörtern und die Lösung über einen funktionierenden Prototyp implementieren. Die meisten Projekte wurden auf Basis der Ethereum-Blockchain umgesetzt.

CT: Wie unabhängig können Sie als Inhaber einer Stiftungsprofessur forschen, wenn Ihr Lehrstuhl von Credit Suisse Asset Management (Schweiz) finanziert wird?

Fabian Schär: Ich erhalte meinen Lohn von der Universität Basel. Credit Suisse Asset Management hat das Geld der Universität bedingungslos gesprochen und ich wurde über ein normales universitäres Berufungsverfahren eingesetzt. Ich habe keinerlei Auflagen, was meine Forschung angeht. Bezeichnend dafür ist, dass ich ein großer Vertreter von Dezentralisierung und öffentlichen Blockchains bin und die Banken ja eher in Richtung geschlossene Blockchains tendieren.

Dezentralisierung der Bildung

CT: Wenn man über Blockchain spricht, meint man auch die Dezentralisierung. Wie kann die neue Technologie zur Dezentralisierung der Bildung genutzt werden?

Fabian Schär: Ich glaube nicht, dass die Blockchain hier wahnsinnig viel beitragen kann – allenfalls über Mikrotransaktion, um Private zum Schaffen neuer Lehrinhalte zu bewegen. Unabhängig von der Blockchain sehe ich aber einen großen Trend zu einer offeneren Bildungslandschaft. Ich begrüße beispielsweise Initiativen wie MOOCs (Massive Open Online Courses), welche Kurse einer breiten Öffentlichkeit zugänglich machen – darunter auch Personen, denen diese Ausbildungsmöglichkeiten früher komplett verschlossen waren.

Vor 20 Jahren wäre es beispielsweise undenkbar gewesen, dass Studierende an einer “Kryptographie”-Veranstaltung einer Universität teilnehmen können, die Tausende Kilometern entfernt ist. Heute gibt es im Web unzählige frei verfügbare Kurse dazu.

Viele der besten Inhalte entstehen gar abseits der Hochschulen. Auch das könnte man in gewisser Weise als Dezentralisierung der Bildungslandschaft bezeichnen. Ähnliches gilt übrigens auch für die Forschung. Auch hier entstehen viele gute Forschungspapiere abseits der Universität. In Anbetracht dieser Entwicklung hat sich unsere Fakultät im letzten Jahr auch dazu entschieden, Vitalik Buterin einen Ehrendoktortitel zu überreichen.

Bitcoin als Anlageklasse

CT: Wie sehen Sie die Zukunft der Kryptowährung Bitcoin?

Fabian Schär: Bitcoin hat interessante Eigenschaften und könnte langfristig zu einer alternativen Anlage werden, welche außerhalb des Finanzsystems in digitaler Form und komplett eigenständig gehalten werden kann. Das physische Asset mit diesen Eigenschaften ist bereits in Form von Gold vorhanden, weshalb ich Bitcoin gerne auch als digitales Gold bezeichne. Beim Kauf von Bitcoins sollte man sich aber – wie bei allen Anlagen – zuvor gründlich mit den verbundenen Risiken auseinandersetzen und sich bewusst sein, dass man auch alles verlieren kann.

CT: Welchen Bitcoin-Kurs halten Sie für angemessen?

Fabian Schär: Es wäre anmaßend zu behaupten, dass ich mehr Informationen hätte als der Markt. Deshalb sehe ich prinzipiell von Preisprognosen ab. Der momentane Preis sollte in Anbetracht der zugrundeliegenden Technologie aber auch eher eine Nebenerscheinung sein. Entwicklungen wie das Lightning-Netzwerk sind unglaublich spannend und haben großes Potential. Insofern beschäftige ich mich lieber mit der Technologie als mit Wahrsagerei (lacht).

CT: Erwarten Sie, dass etablierte Banken oder Fonds mit Bitcoin arbeiten werden?

Fabian Schär: Das Interesse ist jedenfalls da – oft verbunden mit einer gewissen Skepsis. Dies sehen wir auch im Rahmen der Aktivitäten der Swiss Blockchain Federation (Bundesrats Taskforce), bei welcher ich im Vorstand bin und die Arbeitsgruppe „Banking“ leiten darf. Wir pflegen dort einen guten Austausch mit den verschiedensten Banken und versuchen, viel Aufklärungsarbeit zu leisten und allfälligen Vorurteilen entgegenzuwirken.

Einige Schweizer Banken bieten jedoch schon heute Dienstleistungen mit Kryptoassets an – darunter auch die Verwahrung von Bitcoin. Dies widerspricht natürlich der ursprünglichen Idee der Unabhängigkeit und Selbstverwahrung, man sollte sich aber bewusst sein, dass viele Personen die Eigenverantwortung gar nicht übernehmen möchten. Das Schöne an Bitcoin ist, dass nun jeder selbst entscheiden kann, welchen Teil seines Vermögens er selbst verwahren möchte und welchen er einem Custodian anvertraut. Gerade wenn immer wieder über die Abschaffung von Bargeld diskutiert wird, bin ich froh, dass eine solche Option besteht.