Das Wachstum privater Kryptowährungen beschäftigt weltweit die Zentralbanken, wobei mit diesen zwei hauptsächliche Fragestellungen einhergehen. Einerseits gilt es herauszufinden, welche Implikationen die weitreichende Popularität solcher privaten Währungen haben könnte. Andererseits wird die Frage aufgeworfen, ob seitens der Zentralbanken eigene Digital-Währungen herausgegeben werden sollten.
Im europäischen Raum wird oft die holländische Tulpenmanie als mahnendes Beispiel angeführt, wenn es um Kryptowährungen geht. So hat die Europäische Zentralbank wiederholt vor den Gefahren der Krypto-Investitionen gewarnt. Ende 2017 nannte Vizepräsident Vítor Constâncio Bitcoin dementsprechend “eine Art Tulpe” – in Anspielung auf die Spekulationsblase, die die Niederlande des 17. Jahrhunderts ins Unheil gestürzt hatte. Des Weiteren warnten die Experten der Zentralbanken davor, dass sowohl der instabile Wert von Bitcoin als auch dessen begünstigende Voraussetzungen für Steuerhinterziehung und Kriminalität große Risiken darstellen. EZB-Direktoriumsmitglied Benoît Coeuré fasste die Position des Bankenwesen deshalb trocken zusammen: “Bitcoin ist kein Geld.”
Allerdings scheint sich diese negative Sicht der Dinge langsam zu ändern. So hat das Weltwirtschaftsforum (WEF), eine Schweizer Stiftung, die für ihre gleichnamige jährliche Konferenz in Davos bekannt ist, Anfang April dieses Jahres einen Bericht über die Blockchain-Forschung der Zentralbanken veröffentlicht. Laut Bericht beschäftigen sich weltweit bereits mehr als 40 Zentralbanken mit der Frage staatlicher Digitalwährungen (CBDC) oder wollen in naher Zukunft mit entsprechenden Untersuchungen beginnen.
Die WEF-Studie benennt dahingehend das Beispiel der e-Krona, ein Projekt, das von der Schwedischen Reichsbank ins Leben gerufen wurde. Auch die Deutsche Bundesbank hat bereits die Nutzung der Blockchain erprobt. So hat Deutschlands Zentralbank im vergangenen Jahr ein Projekt namens Blockbaster erfolgreich abgeschlossen. Dabei wurde in Zusammenarbeit mit der Deutschen Börse die Abwicklung von Wertpapiergeschäften über die Blockchain getestet.
Wie steht aber die Österreichische Nationalbank (OeNB) den Kryptowährungen gegenüber und welches Potenzial sieht sie in der Blockchain-Technologie? Um Antworten auf diese Fragen zu finden, hat Cointelegraph mit Dr. Beat Weber gesprochen, der bei der OeNB in der Abteilung für Integrationsangelegenheiten und Internationale Finanzorganisationen arbeitet und einer der Experten für Kryptowährungen ist.
Blockchain und die zukünftige Rolle der Banken
Cointelegraph auf Deutsch: Wie interpretiert die Österreichische Nationalbank die Blockchain-Technologie?
Beat Weber: Die Blockchain ist eine originelle neue Form, ein Register technisch dezentral zu verwalten. Ob der Markt in Zukunft daraus etwas entwickeln kann, das nennenswerte wirtschaftliche Verbesserungen in irgendeinem Bereich bringt, beobachten wir mit Spannung.
CT: Die Blockchain zielt darauf ab, Vermittler wie Banken überflüssig zu machen. Wie beurteilen Sie ihre künftige Rolle?
Beat Weber: Das ist ein beliebtes Missverständnis. Die Vermittlerfunktion wird durch Blockchain nicht beseitigt, sondern dezentralisiert. Zum Beispiel wird die Bestätigung von neuen Bitcoin-Zahlungen alle 10 Minuten durch einen von mehreren miteinander konkurrierenden „Minern“ durchgeführt. Das besondere bei Blockchain-Anwendungen wie Bitcoin ist, dass nicht nur die Vermittlung dezentralisiert ist, sondern auch der Garantiegeber hinter dem Wertträger beseitigt wird, weshalb der Marktwert enorm schwankt. Falls Blockchain im Finanzsektor eine Zukunft hat, dann nur in Verknüpfung mit Garantiegebern. Hinter Geld und Finanzprodukten steht jeweils ein Garantiegeber, der bestimmte Zusicherungen in Bezug auf den Wert macht, unterlegt von einer starken Bilanz: Eine Zentralbank sorgt für die stabile Kaufkraft einer Währung, ein Anleihe-emittierendes Unternehmen verspricht dem Nutzer Rückzahlung und Verzinsung. Wenn sich in Zukunft Modelle entwickeln lassen, wie auf einer Blockchain solche Finanzprodukte glaubwürdig abgebildet werden können, und sich durch die Verwaltung auf einer Blockchain irgendwelche Verbesserungen aus Nutzersicht, zum Beispiel geringere Kosten, ergeben, ohne dass bestehende Funktionsanforderungen eingeschränkt werden, wäre das erfreulich.
CT: In welchen Bereichen könnte die Blockchain für Institutionen wie die OeNB interessant sein?
Beat Weber: Zentralbanken sind im Euroraum Marktinfrastruktur-Anbieter im Bereich Zahlungsverkehr und Wertpapierabwicklung. Zumindest nach dem heutigen Entwicklungsstand können Blockchain-Anwendungen die Anforderungen für solche Systeme nicht erfüllen.
CT: Arbeitet die OeNB selbst mit der Blockchain? Wenn ja, können Sie bitte mehr darüber erzählen?
Beat Weber: Zentralbanken wie die OeNB haben sich eingehend auch experimentell mit der Blockchain beschäftigt, um sich mit der Technik vertraut zu machen. Bislang ist uns kein Anwendungsfall untergekommen, für den die Nutzung einer Blockchain die beste Lösung wäre.
Keine Nachfrage nach digitalem Zentralbankgeld
CT: Wie offen ist die OeNB gegenüber der Einführung von digitalem Zentralbankgeld?
Beat Weber: Im Massenzahlungsverkehr sind digitale Zahlungen und digitale Wertaufbewahrung in Euro schon heute möglich – über Bewegung von Guthaben bei Kreditinstituten, über Online-Banking sowie Debit- und Kreditkarten. Zwischen Banken wird mit digitalen Guthaben bei der Zentralbank gezahlt. Daneben gibt es Bargeld von der Zentralbank.
Die Frage nach einem digitalen Zentralbankgeld würde sich erst stellen, wenn die Nachfrage nach Bargeld radikal zurückgeht. Dafür gibt es in Österreich bislang keine Anzeichen. Wo wir eine durch Digitalisierung wachsende Lücke im Zahlungsangebot sehen, ist im Bereich Geschwindigkeit. Deshalb hat das Eurosystem das Echtzeit-Bezahlsystem TIPS entwickelt, auf dem seit kurzem private Anbieter ihre Bezahllösungen für Endkunden aufsetzen können.
CT: Es gibt schon einige Cafés und Unternehmen in Österreich, bei denen man mit Kryptowährungen zahlen kann. Ist es der Nationalbank egal, wenn da eine Parallelwährung entsteht?
Beat Weber: Wir sehen in Kryptowährungen kein Potenzial für die Verbreitung eines Parallelwährungssystem. Wer die Wahl hat, mit Euro oder mit Kryptowährungen zu zahlen, und rechnen kann, wird Euro wählen. Egal, ob ich gestern, heute oder morgen zum Bäcker gehe, um einzukaufen: Wenn ich einen Euro in der Tasche habe, kriege ich jedes Mal drei Semmeln dafür. Falls der Bäcker auch Kryptowährungen akzeptiert, schwankt der Preis der Semmeln permanent. Da wird jeder Einkauf zur Achterbahnfahrt. Kryptowährungen sind aus Nutzersicht für normale Zahlungen schlechter als eine stabile Währung wie der Euro. Und stabile Kaufkraft ist für die breite Mehrheit die Nutzeranforderung Nummer eins.
Die Entwicklung zeigt das deutlich: Auch nach zehn Jahren Bitcoin ist die Zahl der Firmen, die Zahlungen in Kryptowährungen akzeptieren, sehr gering, wächst kaum und ist eher rückläufig, und die tatsächliche Nutzung durch die Kundschaft ist allem Anschein nach extrem verhalten. Bitcoin wird von seinen Fans vorwiegend als Spekulationsobjekt gehalten, nicht als Zahlungsmittel im Café oder ähnlichen Geschäften genutzt.
Krypto-Regulierung
CT: Österreichs Finanzminister Hartwig Löger will Kryptowährungen ähnlich wie Gold regulieren. Was halten Sie persönlich von dieser Entscheidung?
Beat Weber: Die Abwägung der Vor- und Nachteile einer jeglichen rechtlichen Einordnung ist keine leichte Aufgabe, vor allem weil das ein globaler Markt ist. Deshalb hat der Minister Expertengremien eingerichtet, die das derzeit diskutieren.
CT: Wie stellen Sie sich im Idealfall die Regulierung von Kryptowährungen und Blockchain in Österreich vor?
Beat Weber: Angesichts der globalen Dimension dieses Segments sind international abgestimmte Lösungen anzustreben.
CT: Welche Maßnahmen und Regulierungsvorschriften im Bereich der Blockchain/DLT halten Sie – auf nationaler und europäischer Ebene – für erforderlich?
Beat Weber: Aus behördlicher Sicht waren Maßnahmen gegen die Nutzung von Krypto-Transaktionen für illegitime Zwecke vordringlich, deshalb ist mit der zuletzt beschlossenen Anpassung der EU-Geldwäscherichtlinie die Ausweispflicht bei Krypto-Ankäufen in Zukunft Standard. Aus aufsichtlicher Perspektive ist es darüber hinaus wichtig, dass Banken keine Kredite für Krypto-Spekulation vergeben, und so Risiken aus dem Krypto-Sektor in den Finanzsektor hineintragen.
Bitcoin fehlt der Garantiegeber
CT: Viele Fans der Österreichischen Schule der Nationalökonomie sehen Kryptowährungen als Währungen, die in Konkurrenz zueinander stehen und nicht vom Staat kontrolliert werden. Sie reden von der „Trennung von Staat und Geld“. Was halten Sie davon?
Beat Weber: Die wichtigsten Eigenschaften von Währungen sind aus Nutzersicht breite Akzeptanz und Wertstabilität. Dazu braucht es einen verantwortlichen Garantiegeber. Auch dort, wo in der Geschichte private Währungen aufgetaucht sind, standen Garantiegeber – private Banken – dahinter. Die aus den siebziger Jahren stammende Vision konkurrierender Privatwährungen, die mit dem Namen des „österreichische Schule“-Vertreters Hayek verknüpft ist, stellt auch darauf ab. Projekte wie Bitcoin haben damit nichts zu tun, weil da keine verantwortliche Instanz, kein Garantiegeber dahinter steht.
Die Folge ist, dass solche Projekte bestenfalls als Spekulationsobjekte genutzt werden, aber nicht als Währung. Insofern haben Krypto-Projekte mit Währungs-Ambitionen die harte Lektion des Marktes lernen müssen: Wer als Anbieter das Geschäftsmodell in einem Markt nicht versteht, der geht im Wettbewerb unter.