Im November 2018 kündigte der österreichische Finanzminister Hartwig Löger in seiner Keynote im Rahmen der FinTechWeek Vienna an, dass die Regierung die „Regulatory Sandboxes“ für Fintech-Projekte – auch für Blockchain-Projekte – implementieren wird. Am Donnerstag, den 25. April, hat das Finanzministerium (BMF) nun seinen ersten derartigen „Sandkasten” vorgestellt.

Der sogenannte „regulatorische Sandkasten” solle sicherstellen, dass innovativen Anwendungsmöglichkeiten für digitale Technologien genügend Spielraum gewährt wird. Künftig können Fintechs im Zuge dessen ihre innovativen Geschäftsmodelle für einen begrenzten Zeitraum unter der Leitung der Finanzmarktaufsicht (FMA) testen und trainieren.

Außerdem hat das österreichische Finanzministerium bereits im letzten Jahr den Fintech-Beirat ins Leben gerufen, der aus engagierten Experten, Aufsehern und Praktikern besteht. Finanzminister Hartwig Löger erklärte damals, das Ziel des Beirats sei es, klare Regeln für den Finanzdienstleistungssektor zu definieren:

„Mit Hilfe des Beirats sollen Spielregeln festgelegt werden, um den jungen Finanzmarkt rund um digitalisierte Finanzdienstleistungen sowie ICOs und Kryptowährungen in geordnete Bahnen zu lenken und zu Wachstum zu verhelfen."

Außerdem wird seit November 2018 das neu gegründete Austrian Blockchain Center (ABC) an der WU Wien im Rahmen des COMET-Programms der Bundesregierung und der Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) mit 26 Millionen Euro gefördert. Es ist damit das weltweit größte Kompetenzzentrum, das Blockchain-basierte Anwendungen wissenschaftlich weiterentwickelt. Mit dem Austrian Blockchain Center sollen die umfassenden interdisziplinären Kompetenzen im Bereich der Grundlagen und der Anwendung von Blockchain-Technologien nun an einer Adresse gebündelt werden.

Auch auf Regierungsebene wird über Blockchain-Anwendungen nachgedacht, so könnten Meldedaten künftig ebenso in der Blockchain gespeichert werden, wie Grundstücks- oder Wohnungsverkäufe. Die Technologie eignet sich aber auch, um die Nachvollziehbarkeit landwirtschaftlicher Produktion zu verbessern, Gesetze automatisch zu vollziehen oder für den Einsatz im digitalen Gesundheitsbereich und öffentlicher Verwaltung. Österreich gilt mittlerweile sogar schon als europaweiter Vorreiter, was den Einsatz von Blockchain bei Staatsanleihe-Begebungen betrifft.

Wie sieht die aktuelle österreichische Rechtslage im Hinblick auf Blockchain und Kryptowährungen aus? Könnte es schon heuer globale Regeln geben? Welche Blockchain-Anwendungen sind in naher Zukunft in Österreich realistisch? Und welche konkreten Vorteile kann Österreich als Standort für Blockchain-Startups bieten? Die Bundesministerin für Digitalisierung und Wirtschaftsstandort Dr. Margarete Schramböck gibt uns Antworten auf all diese Fragen.

„Es werden uns große Veränderungen bevorstehen”

Cointelegraph auf Deutsch: Blockchain ist derzeit in aller Munde. Wie beurteilen Sie persönlich den ganzen aktuellen Hype? Ist das viel Lärm um nichts oder kann man damit rechnen, dass Blockchain im großem Stil Dinge verändern wird?

Margarete Schramböck: Viele Themen im Digitalbereich sind mit Blockchain verknüpft und viele gehen deutlich über Blockchain-Technologie hinaus. Ich spreche von Themen wie Sicherheit, Nachvollziehbarkeit, kryptografische Garantien, künstliche Intelligenz, die digitale Abbildung von Verträgen oder den automatischen Vollzug von Gesetzen. Es werden uns große Veränderungen bevorstehen, und diese Veränderungen werden durch Technologien wie Smart Contracts und intelligente Formalismen zur Abbildung von Verträgen und Gesetzen möglich sein. Diese Mechanismen werden derzeit im Kontext von Blockchain-Technologien mitbetrachtet, sind prinzipiell aber auch als eigenständige Lösungen einsetzbar.

CT: Wo sehen Sie mögliche Einsatzgebiete, insbesondere in Österreich, für die Blockchain?

MS: Bei öffentlichen Ausschreibungen können Unternehmen mit der Blockchain-Technologie sicherstellen, dass sie alle erforderlichen Dokumente fristgerecht eingereicht haben. Die Blockchain hat das Potenzial, Geschäftsprozesse stark zu beschleunigen und zu vereinfachen. Ganz konkret könnte in Österreich die Informationsweitergabe von Unternehmen an Ministerien vereinfacht werden. Firmen müssen beim „Once Only“-Prinzip ihre Daten nur einmal angeben – also, wenn sie das erste Mal von einer Behörde angefragt werden. Gesichert mit einer Blockchain könnten diese Daten dann einfach an andere Behörden weitergegeben werden, wenn das Unternehmen das möchte.

Das strategisch entscheidende Potenzial von Blockchain-Lösungen besteht in Smart Contracts, im automatischen Vollzug von Verträgen und von Gesetzen. Das ist ein Thema, das sowohl Blockchain als auch künstliche Intelligenz betrifft. Smart Contracts werden uns unter anderem die sichere Individualisierung und intelligente Erweiterbarkeit von Verwaltungsverfahren – wie das elektronische Postfach für Unternehmen MeinPostkorb – ermöglichen. Zum Beispiel: Wenn meine Tochter 18 Jahre alt ist, dann soll sie automatisch als Eigentümerin meiner Wohnung an Adresse X eingetragen werden. In der Privatwirtschaft werden die Einsatzgebiete stark von Effizienzsteigerung und Kosteneinsparungen getrieben sein.

„Die Blockchain hat das Potenzial, Geschäftsprozesse stark zu beschleunigen und zu vereinfachen. Ganz konkret könnte in Österreich die Informationsweitergabe von Unternehmen an Ministerien vereinfacht werden.”

Blockchain-Regulierung ist nicht notwendig

CT: Müssen sich die gesetzlichen Rahmenbedingungen in Österreich und Europa ändern, um solche Einsätze zu ermöglichen? Wenn ja, wie?

MS: Ob der rechtliche Rahmen für Blockchain-Anwendungen geändert werden muss, ist zurzeit Gegenstand von verschiedenen Arbeitsgruppen auf nationaler und europäischer Ebene. Mein Ministerium vertritt Österreich auch im von der Europäischen Kommission initiierten European Blockchain Partnership Programm, das unter anderem gemeinsame europäische rechtliche Rahmenbedingen für Blockchain schaffen möchte. „Regulatory Sandboxes”, in denen mit der Technologie experimentiert wird, wären aus unserer Sicht ein guter Anfang.

Die EU hat die Tendenz, Dinge zu überregulieren. Viele große europäische Unternehmen haben sich zurückgezogen, weil die Regulierung zu streng war. Konsumentenschutz ist uns wichtig, deshalb bin ich klar für eine Regulierung von Kryptowährungen. Eine eigene Blockchain-Regulierung halte ich nicht für notwendig. Man sollte es mit der Regulierung nicht übertreiben und anschließend bedauern, dass sich kein europäischer Konzern in den Top10 der größten IT-Unternehmen der Welt befindet.

„Die EU hat die Tendenz, Dinge zu überregulieren. Viele große europäische Unternehmen haben sich zurückgezogen, weil die Regulierung zu streng war. “

CT:  Was halten Sie von Kryptowährungen?

MS: Kryptowährungen sind eine kleine Teilmenge der Blockchain-Technologien. Wirklich interessant werden diese Währungen erst in Kombination mit Smart Contracts, das heißt, wenn Transaktionen hinterlegbar sind, die automatisch unter bestimmten Bedingungen erfolgen. Die Regulierung von Währungen erfolgt allerdings durch das Finanzministerium.

CT: Welche praktischen Anwendungen der Blockchain sind in Österreich in naher bis mittlerer Zukunft realistisch? Wo würde die Bevölkerung davon überhaupt etwas mitbekommen?

MS: Denkbar wäre etwa die Nachvollziehbarkeit in Supply-Chains oder im dezentralen Stromhandel. Die Anwendungsfelder sind breit. Wir haben bei uns in der Verwaltung bereits ein Blockchain-Pilotprojekt erfolgreich umgesetzt, um die Nachvollziehbarkeit elektronischer Zustellungen zu erhöhen und zu erleichtern. Im Moment läuft zudem ein weiteres Pilotprojekt, um einen Blockstempel-Service zu konzipieren. Am Pilot ist auch die Stadt Wien beteiligt. Wir sind meines Wissens nach das erste und bisher auch einzige Ressort, das bis jetzt ein Blockchain-Projekt fertiggestellt hat.

Österreich als Standort für Blockchain-Startups

CT: Ist es aufwändig, ein Krypto- oder Blockchain-Startup in Österreich zu gründen? Viele haben es schwer, überhaupt erstmal ein Firmenkonto bei einer Bank zu eröffnen…

MS: Krypto und Blockchain hier gleichzustellen wäre falsch. Blockchain erfordert Computerressourcen, die man ähnlich wie bei der Cloud nur schwer finden wird, um wirtschaftlich konkurrenzfähig und dennoch technisch sicher zu sein.

Bei Krypto-Services ist die Sachlage deutlich anders. Kryptowährungen sind kaum reguliert, Transaktionen erfolgen zumindest scheinbar anonym und sie gelten als Zahlungsmittel für Kriminelle. Das macht es auch seriösen Unternehmen, die in irgendeiner Form mit Kryptowährungen arbeiten, schwierig, Partner zu finden, Zulassungen zu bekommen, oder einfach nur ein Geschäftskonto zu eröffnen.

Weltweit haben Regierungen Probleme mit den digitalen Technologien und Geschäftsideen, die sich unglaublich rasant weiterentwickeln. Die Finanzmärkte sind sensibel, Kunden und Anleger müssen geschützt werden. Andererseits sollen Innovationen und Neugründungen nicht durch ein zu enges Korsett an Regulierungen abgewürgt werden. Ein schwieriger Spagat. Es geht darum, das Potenzial von Fintechs zu nutzen und trotzdem die Sicherheit des Finanzsystems zu gewährleisten. Um diesen Spagat zu meistern, wurde im ersten Quartal 2019 die „Regulatory Sandbox“ realisiert, eine Art Sandkiste für Fintechs. Startups können unter den Augen der FMA ihre Geschäftsmodelle testen und trainieren. Die Testphase in der Krabbelstube ist auf ein halbes Jahr und jeweils fünf österreichische Startups begrenzt.

„Weltweit haben Regierungen Probleme mit den digitalen Technologien und Geschäftsideen, die sich unglaublich rasant weiterentwickeln.”

CT: Welche konkreten Vorteile kann Österreich Blockchain-Unternehmen bieten? 

MS: Mein Ministerium stellt durch die Mitarbeit an technischen Blockchain-Standards optimale Rahmenbedingungen für die österreichischen Unternehmen her: Standards vergrößern die Absatzmärkte für Unternehmen, senken die Implementierungskosten und erhöhen die Interoperabilität technischer Lösungen. Ich lade alle Unternehmen ein, uns ihre Anforderungen an die technischen Standards zu übermitteln: Wir werden diese Anforderungen in die Standardisierungsgremien einbringen. Meines Wissens hat bis jetzt kein anderes Land seinen Unternehmen so ein Angebot gemacht.

„Ich lade alle Unternehmen ein, uns ihre Anforderungen an die technischen Standards zu übermitteln: Wir werden diese Anforderungen in die Standardisierungsgremien einbringen.”

CT: Auf welche Art und Weise fördert die österreichische Regierung Blockchain-Startups sonst noch?

MS: Die Regierung unterstützt KMUs (kleine und mittlere Unternehmen - CT)  und Startups, die sich mit Blockchain-Technologie beschäftigen oder vorhaben, dies zu tun, über verschiedene Förderprogramme bei der FFG. Im Jahr 2018 standen zum Beispiel für den Bereich Smart und Digital Services 8 Millionen Euro für die Entwicklung von Innovationen mit Blockchain-Technologie zur Verfügung. Außerdem sollen neu eingerichtete Digital Innovation Hubs und Digital Pro Bootcamps KMUs und Startups beim Einsatz von neuen Technologien unterstützen. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Digitalisierungsagentur (DiA), die von der Bundesregierung in der Österreichischen Forschungsförderungsgesellschaft (FFG) eingerichtet wurde.

CT: Welche Hindernisse müssen für eine größere Verbreitung der Blockchain-Technologie in Österreich noch überwunden werden?

MS: Einer weiten Verbreitung der Blockchain-Technologie stehen weniger Hindernisse auf politischer oder Verwaltungsebene im Weg, sondern es muss sich erst zeigen, in welchen Bereichen die Blockchain-Technologie einen tatsächlichen Mehrwert für bestehende Prozesse liefert und eine Umstellung auf diese im großen Stil rechtfertigt. Das Ziel soll sein, etwaige Schwachstellen in bestehenden Abläufen und Systemen zu verbessern und neue Dienste einzuführen, aber nicht die Technologie nur um ihrer selbst willen einzusetzen.