Die Vorstellung des Whitepapers von Facebooks Libra-Projekt für eine globale digitale Kryptowährung hat nicht nur in der Krypto-Szene für viel Unruhe gesorgt. Während etwa die Kryptobörse Binance der geplanten Kryptowährung positiv gegenübersteht und sogar eine Teilnahme als Knotenpunkt plant, hagelt es vor allem aus der Politik und von Regulierungsbehörden Kritik und Warnungen gegenüber Facebook

Der parlamentarische Ausschuss für Finanzdienstleistungen in den USA und mehr als 30 US-Lobbyverbände  haben Facebook zu einem Stopp der Arbeit an Libra aufgefordert und auch in anderen Ländern wie Frankreich, Deutschland, Russland und Singapur stößt Libra bislang auf wenig Gegenliebe.

Um etwas Licht ins Dunkel zu bringen, haben wir acht renommierte Krypto-Experten aus dem deutschsprachigen Raum nach ihrer Einschätzung zu Facebook Libra befragt. Im ersten Teil verrät Prof. Dr. Alexander Denzler, Leiter des Blockchain Labs der Hochschule Luzern, welche Chancen und Risiken er bezüglich Libra sieht.

Cointelegraph auf Deutsch: Was halten Sie von Facebooks Libra?

Alexander Denzler: Libra birgt Chancen und Risiken. Unumstritten ist der Einfluss auf den Bekanntheitsgrad von Kryptowährungen, zumal knapp 2,38 Milliarden aktive Facebook-Nutzer Zugang zu einer digitalen Währung erhalten werden. Libra als Bezahlmedium entspricht grundsätzlich einem digitalen Euro (Fiat-Coin) und weniger einer “traditionellen” Kryptowährung wie Bitcoin oder Ether, bedingt durch die Verschlossenheit des Systems.

Facebook bzw. das Konsortium aus namhaften Betreibern des Netzwerks wird dabei die Rolle einer global agierenden Zentralbank einnehmen, quasi einer “EZB on Steroids”. Damit einher gehen viel Macht und Verantwortung. Klare “Spielregeln” und eine uneingeschränkte Transparenz im Umgang mit den Daten sind kritisch. 

Mit Libra knackt Facebook die letzte Meile der Datenerhebung und erhält direkten Einblick in das digitale Konto der Kunden. Die Effizienzmessung von Werbekampagnen kann dadurch massiv erhöht werden, zumal unser Nutzerverhalten noch besser ausgewertet werden kann. Wir werden zum gläsernen Kunden 2.0.   

CT: Könnte das Projekt von Facebook langfristig möglicherweise mehr schaden als nützen?

AD: Definitiv. Facebook ist sich des Risikos bewusst und sucht deshalb proaktiv das Gespräch mit relevanten Parteien wie etwa Regierungen, Finanzbehörden und Zentralbanken. Klar ist, eine Inbetriebnahme von Libra ohne Absprache und Zustimmung hätte verheerende Folgen für das Projekt und somit Facebook. Einige Regierungen haben den Einsatz von Libra bereits verboten.  

CT: Wie schätzen Sie Erfolgsaussichten des Libra-Projektes ein?

AD: Die technische Umsetzung des Projekts ist nicht der kritische Faktor, auch wenn die Transaktionsgeschwindigkeit sicherlich noch gesteigert werden muss. Viel mehr hängt alles von den regulatorischen Massnahmen ab, die global ergriffen werden, sowie der Akzeptanz der Nutzer. Der Sensibilisierung im Umgang mit Daten bzw. der Abwägung, ob man bereit ist, diese Facebook bereitzustellen, werden wir uns alle stellen müssen. 

CT: Welche Vorteile hat das Projekt und welche Implikationen für das Finanzsystem ergeben sich aus der Einführung einer solchen Digitalwährung?

AD: Preise können weltweit leichter verglichen werden, Wechselkursschwankungen können abgefedert werden, da Libra an mehrere Währungen gekoppelt wird und auch Wechselgebühren sowie Transaktionskosten werden voraussichtlich auf ein Minimum reduziert.

Der effektive Gebührenkatalog wurde allerdings noch nicht kommuniziert. Besonders in Ländern mit instabilen Regierungen und hoher Inflation könnte Libra als “Parallelwährung” viele Vorteile bieten, sofern die Regierungen Libra nicht direkt verbieten. Um die Implikationen für das Finanzsystem abschätzen zu können, genügt ein Blick nach China. WeChat hat das Bezahlverhalten der Bürger stark verändert. Eine ähnliche Digitalisierung der Bezahlung wird sich längerfristig auch bei uns einstellen. 

CT: Welche gesellschaftlichen und politischen Folgen wird Libra haben? 

AD: Der Fokus bei Libra liegt momentan primär auf der Währung selbst und den finanziellen Implikationen. Was im Whitepaper nur kurz erwähnt ist, aber viel mehr Zündstoff für hitzige Diskussionen bietet, ist die Verwaltung des digitalen Bankkontos (Wallet) und der Identität der Nutzer.

Dem Internet fehlt eine Authentifizierungsschicht, sprich überall, wo eine klare Identifikation benötigt wird. Beispielsweise müssen die Nutzer beim Kauf auf Amazon einen Nachweis erbringen. Das digitale Bankkonto von Facebook wird sicherlich einen Know Your Customer (KYC)-Prozess beinhalten.

Damit einher geht die Erstellung einer authentifizierten, digitalen Identität und somit dem essentiellen Bestandteil einer Authentifizierungsschicht für das Internet. Wohlbemerkt mit Facebook als Herrin über die jeweiligen Identitäten – und somit diese kritische Schicht. Dieser Ansatz steht in einem direkten Kontrast zu Self-Sovereign Identity Management, bei dem die Verwaltung von Identitäten und Daten in der Hoheit der Benutzer liegt. 

CT: Könnte Libra Bitcoin als wichtigste Kryptowährung ablösen?

AD: Nein. Bitcoin ist primär zu einem spekulativen Instrument, einer Art digitalem Gold, mutiert. Eine Studie hat erst kürzlich belegt, dass weniger als 5% der Bitcoins effektiv für Zahlungen genutzt werden. Libra als Stablecoin unterliegt keinen Kursschwankungen, da es keine künstliche Verknappung gibt und kann somit auch nicht als digitales Gold genutzt werden. Dieser kleine aber wichtige Unterschied wird sicherstellen, dass beide ohne Weiteres koexistieren können.